Arbeitstitel Wien 2021

New York 2053, die sechsundzwanzigjährige Joana Bernard, die gerade ihr Drehbuchstudium abgeschlossen hat, bekommt von ihrem Produzenten Harry Goldstein den Auftrag, ein Drehbuch über die Pandemie in Wien zu schreiben, da sie österreichische Vorfahren hat.

Ist doch ihre Großmutter Hanna Richter um die Jahrtausendwende nach New York gekommen, um eine Biografie über den Schriftsteller Jakob Mandelbaum, bekannt aus den „Wiener Verhältnissen” zu schreiben und hat dann dessen Enkel Henry geheiratet.

So kommt Joana nach Wien, verliebt sich dort in den Assistenzprofessor Joshua Schuster und forscht einem Vorfall nach, der im November 2021 in Wiener Neustadt geschehen ist.

Hat da doch der einunddreißigjährige EDV-Techniker Andreas Brunner in einer Tankstelle, die dortige Kassiererin angeschossen, nach dem sie ihn aufforderte, seine FFP2-Maske aufzusetzen.

1.

Der Stoff des schwarzen Kleides lag schwer in Joanas Hand, als sie es über ihren Körper zog und den Reißverschluß schloß.

„Uff!”, fluchte sie dabei. Eigentlich eine Schnapsidee, auf der Party zu der sie der Produzent Harry Goldstein eingeladen hatte, mit dem Großmutterkleid aufzukreuzen, die sich gern in schwarze Baumwolle gekleidet hatte. Sie mochte es anachronistisch und war, obwohl sie gerade sechsundzwanzig geworden war und vor kurzem ihr Drehbuchstudium an der Columbia-University abgeschlossen hatte, ein wenig altmodisch, dachte sie, als sie die schulterlangen Haare zu einem Knoten hochsteckte und mit einer Bambusspange fixierte. Ein Kleid, das sie im Nachlaß ihrer vor drei Jahren verstorbenen Großmutter Hanna Richter gefunden und es zu ihren Lieblingsstücken gemacht hatte, das sie seither gern zu festlichen Anlässen trug und es war ein festlicher Anlaß, zu dem der Produzent, Harry Goldstein, der ihr Lehrer gewesen war, sie zum Geburtstagsfest seiner Gattin Patricia eingeladen und ihr außerdem ins Ohr geflüstert hatte, daß sie kommen müsse, weil er einen Auftrag für sie habe. Dabei hatte er gegrinst und „Keine Angst, Schätzchen! Du brauchst dich nicht zu fürchten! Die Me too-Debatte ist Schnee von gestern! Du brauchst dich vor mir nicht fürchten, denn Pat wird schon aufpassen, daß ich nicht über die Stränge schlage! Sie ist sehr streng dabei, obwohl ich es gern täte, denn du bist eine wunderschöne Frau, die einen Mann schwach werden lassen könnte!”, hatte er behauptet und bevor sie abwehren konnte, ihre Hand geküßt.

„So macht man es doch in Vienna, Schätzchen, woher, wenn ich mich nicht irre, deine Großmutter kommt? Hanna Richter hat sie geheißen, nicht wahr? Habe ich doch ihre Biografie deines Ururgroßvaters in meiner Bü\-cher\-samm\-lung! Die Biografie deines Ururgroßvaters ist sehr interessant, ist er doch 1938, in der damaligen Kristallnacht, gerade noch den Nazis entkommen und du bist meine Johanna Bernhard, obwohl deine Vorfahren Mandelbaum geheißen haben!”

„Stimmt, Harry! Jakob Mandelbaum war mein Ururgroßvater! Die Großmutter ist um die Jahrtausendwende nach New York gekommen, um seine Biografie zu schreiben, weil sie eines seiner Bücher im Nachlaß ihres Vaters fand! Über ihn willst du einen Film drehen und mich für das Drehbuch engagieren?”, hatte sie gefragt, wobei ihr Herz heftig zu schlagen begonnen hatte, wäre es doch ihr erster Auftrag.

„Stimmt nicht ganz, Schätzchen!”, hatte er widersprochen und noch einmal seinen Mund auf ihren Hand\-rücken gedrückt.

„Das Drehbuch für meinen nächsten Film, denn du bist eine begabte junge Frau! Aber nicht über die Nazis, die deinen Ururgroßvater aus Wien vertrieben haben, sollst du schreiben, denn das ist noch größerer Schnee von vorgestern, gibt es dazu doch schon ganze Filmarchive, so daß da nichts mehr zu holen ist! Ich denke eher an die Pandemie! An das Corona-Virus, das die Welt ab 2020 in Atem gehalten hat! Du hast das nicht mehr ganz erlebt und wirst dich nicht daran erinnern! Deine Mutter wahrscheinlich schon, die auch eine wunderbare Frau ist und auf die, das kann ich dir flüstern, die gute Pat ebenfalls eifersüchtig werden könnte!”

„Klingt sehr spannend! Obwohl ich mich dies\-be\-züg\-lich erst einarbeiten oder die Eltern fragen müßte, wie das damals war!” „Nein, Honey!”, hatte er widersprochen und war mit der Hand so dicht an ihr Gesicht gekommen, daß sie den Kopf schütteln hatte müssen, um ihn abzuwehren.

„Da müßte ich mich nicht an dich wenden! Über New York könnten auch die anderen Jungautoren schreiben, die ich am Campus unterrichtet habe! Ich habe dich schon wegen deiner Wiener Verhältnisse ausgewählt! Denn schau, was ich gefunden habe?”, hatte er gesagt und ihr sein Smart vor die Nase gehalten, daß sie nicht ausweichen konnte.

„Ich habe keine Wiener Verhältnisse, denn ich war nur zweimal in dieser Stadt! Einmal mit den Großeltern, weil sich der Großvater für die Heimat seines Grandpas interessierte und die Granny eine Tochter aus ihrer ersten Beziehung dort hat und ein zweites Mal mit der Mama, die mich auf ihre Europareise mitgenommen hat! Sie hat mich ins Burgtheater eingeladen! Dort haben wir Thomas Bernhards „Heldenplatz” gesehen, mit dem ich nichts zu tun habe und ihn auch nicht so besonders mag! Der Pa heißt Bernard ohne „H” und bei Joana ist auch kein solches zu finden! Außerdem spreche ich nicht gut Deutsch! Der Großvater hat es studiert! Die Großmutter ist aus Wien gekommen! Die Mama hat es nur mit ihren Eltern gesprochen. Seit die verstorben sind, habe ich keine Gelegenheit zu üben, da es der Pa nicht verstehen würde und auch sonst keiner der Familie! Worüber soll ich das Drehbuch schreiben?”, hatte sie gefragt und sich geärgert, daß er sein Smart wegsteckte.

„Nicht so neugierig, Schätzchen, die keine Johanna und auch keine Jeanne d` Arc sein will! Du wirst es auf der Party erfahren! Ich freue mich darauf!”

Mehr hatte er nicht verraten und Joana, die den Reißverschluß geschlossen hatte und in schwarze Pumps mit hohen Absätze geschlüpft war, stand jetzt vor dem Spiegel und fuhr sich mit einem Lippenstift über den Mund. Es konnte losgehen. Harry und Patricia wollten sicher, daß sie pünktlich war.