Eine begrenzte Frau

Nur wenige Tage nach ihrem 46. Geburtstag verliert die alleinstehende und eigentlich sehr einsame Architektin Agathe Zimmermann plötzlich ihre Arbeit. Die Chancen, in diesem Alter noch einen neuen Job zu finden, schätzt Agathe als schlecht ein, die Situation scheint ihr ausweglos zu sein. Doch gerade als sie anfängt, sich ganz und gar dieser vermeintlichen Ausweglosigkeit hinzugeben, beginnt ihr Leben mit neuer, ungeahnter Intensität. Sie lernt neue Menschen kennen, findet plötzlich Freunde und erfährt eine für sie ganz neue Geborgenheit in diesen Freundschaften.

In ihrer Erzählung "Eine begrenzte Frau" zeigt Eva Jancak ein in der heutigen Arbeitswelt immer mögliches Schicksal einer nicht mehr ganz jungen Frau auf, ergeht sich dabei aber nicht in Larmoyance, sondern zeigt - über den Weg des Märchenhaften - daß das Gefühl von Ausweglosigkeit sehr wohl überwunden werden kann und sich neue Überlebensmöglichkeiten auftun.

Judith Gruber-Rizy

Als Agathe Krysztof Janocz das nächste Mal vor der Opernrampe zuhörte, stand wieder Tosca auf dem Spielplan. Heute wußte sie das ganz genau, hatte sie doch mit Krysztof in der Aida Filiale, die der Oper gegenüber lag, schon vor seiner Darbietung den kleinen Braunen und die obligatorische Kolatsche zu sich genommen.

„Wirst du wieder den Cavaradossi singen?”, hatte sie gefragt, nachdem sie ihn in den diesbezüglichen Partituren blättern hatte sehen und er hatte „Genau, cara mia, bella donna!”, geantwortet und ihr in übertriebener Höflichkeit die Hand geküßt.

„Natürlich, denn heute gibt es drüben eine Premiere. Ein ganz besonderer Spitzentenor ist angekündigt, dem zu Ehren anschließend eine große Feier stattfinden wird, also werde ich mein Bestes geben”, hatte er gesagt und mit der einen Hand nach seinem Schal gegriffen, um diesen fester um den Hals zu binden, mit der anderen hatte er einen Fünfeuroschein aus der Jackentasche gezogen und ihn der rosabeschürzten Serviererin hingehalten.

„Gehen wir bella donna, um nicht zu spät zu kommen! Denn heute bin ich, wie ich von mir behaupten möchte, in Spitzenform! Mein Bestes will ich geben, um Antonio Alvero auszustechen. Das heißt natürlich nur, wenn es mich die hochverehrte Security und die geschätzten Herren von der Polizei versuchen lassen, denn da Antonio Alvero den Cavaradossi singt, ist zu erwarten, daß sie besonders scharf kontrollieren werden, als fürchte Antonio Alvero meine Konkurrenz. Nun ja, cara mia, bella donna, wunderschönste Frau, ich nehme es auf mit dem Star und bin bereit mich in die Arena zu werfen. Laß uns hinübergehen, ich freue mich, daß du zuhören wirst, versuchen wir mein Glück!”, hatte er ihr in jenen Ton der überlegenheit, mit der er seine Sensibilität verbarg, hingeworfen und nun stand sie an der Opernrampe und fand, was er angedeutet hatte, voll und ganz bestätigt.

Denn er war tatsächlich in ausgezeichneter Verfassung, schien den Cavaradossi wieder einmal zu zelebrieren und ihn zu genießen. Die Stimmung, um ihn herum war dagegen sehr viel hektischer, auch das bemerkte sie genau. Beinahe bedrohlich war sie zu benennen und das lag nicht an den kichernden Blondschöpfen, die ihn bewundernd anblickten und auch nicht an der amerikanischen Touristengruppe, die das viel weniger tat, sondern sich die Zeit zu vertreiben schien, während sie auf die Ankunft ihres hop on-hop off Busses wartete. Es lag an der Anwesenheit eines großen schlanken Mannes im blauen Anzug einer Sicherheitsgesellschaft. Krysztof schien mit seiner Prognose rechtzubehalten, denn es war zwar, obwohl er schon eine Weile sang und die beiden Teenager ihn auch sichtlich anhimmelten, noch kein Polizist gekommen, um ihn zu vertreiben. Der Securitymann stand aber in der Ecke und neben ihm ein nervöser dicker Herr in einem Designeranzug und ganz offensichtlich ging die Bedrohung von beiden aus. Der Securitymann hatte schon auf Krysztof zugehen wollen, war aber von seinen Begleiter gehindert worden, der sein Handy aus der Tasche gezogen und nervös am Display herumgedrückt hatte, was auch nicht besser war. Ganz im Gegenteil, stand doch zu befürchten, daß er ein ganzes Polizeikommando herbeordern würde. Und Krysztof in seiner besten Form schien die Nervosität des dicken Mannes, der ihn geradezu hypnotisierend anstarrte, während er hektisch auf dem Handy drückte, auch zu merken, denn er unterbrach plötzlich die Arie, eines der beiden Mädchen hatte gerade eine Fünfzigcentmünze in Milocz alten Hut geworfen. Rot war es dabei geworden und hatte noch viel mehr gekichert, bis es von der anderen weggezogen worden war. Krysztof unterbrach sich jedenfalls, verbeugte sich vor dem Mädchen und wandte sich den beiden Männern zu.

„Ich gehe schon!”, sagte er zu ihnen.

„Sie brauchen nicht die Polizei zu holen. Ich entferne mich von selbst, wenn Musik an diesen Ort unerwünscht sein sollte, denn ich weiß, es ist unlauterer Wettbewerb vor der Oper den Cavaradossi zu singen. Aber Ihnen vielen Dank, Mademoiselle, Sie scheinen die Kunst wirklich sehr zu schätzen!”, sagte er zu dem blonden Mädchen, das daraufhin noch mehr kicherte. Krysztof bückte sich, um nach seinen Hut zu greifen, der korpulente Mann trat aber jetzt nach vor und schüttelte den Kopf.

„Singen Sie weiter!”, forderte er ihn auf. Krysztof zögerte, blickte zu dem Securitymann, da der aber keinen Einwand machte, sondern nur unbeteiligt auf den Boden starrte, nickte er mit dem Kopf.

„Wenn Sie es wünschen, biete ich dem großen Antonio Alvero gerne meine Konkurrenz!”

Er verneigte sich noch einmal in Richtung des jungen Mädchens, sah zu Agathe hin und begann an genau der Stelle weiterzusingen, an der er unterbrochen hatte und er erzielte auch begeisterten Applaus seiner beiden Fans. Die amerikanischen Touristen hatten inzwischen ihren Bus bestiegen, nachdem sie von Krysztof ein Foto geschossen hatten und der dicke Mann hatte noch einige Male auf sein Handy gedrückt, dann aber aufgehört und sich für den Rest der Arie aufs Zuhören beschränkt. Agathe applaudierte ein wenig leiser, als die begeisterten Mädchen, das lag aber an ihrer begrenzten Frau-Manier und war nicht als Mißfallen zu interpretieren und der dicke Mann trat neuerlich einen Schritt nach vor und blieb schnaufend vor Krysztof stehen.

„Ich hoffe es hat gefallen!”, sprach der ihn an, nachdem er sich noch einmal verbeugt hatte. Der korpulente Herr im ebenfalls dunkelblauen Designeranzug auf dessen Stirne sich einige Schweißperlen gebildet hatten, obwohl es ziemlich kalt an der Opernrampe war, nickte vor sich hin, es schien nicht klar zu sein, ob er damit Zustimmung oder Mißfallen ausdrücken wollte.

„Beherrschen Sie die gesamte Partitur und haben Sie den Cavaradossi schon auf einer Bühne gesungen?”, erkundigte er sich zögernd und das schien eher unwillig, als zustimmend gemeint zu sein.

Krysztof aber nickte genauso unbekümmert, wie er es gewesen war, als er sich vor ein paar Wochen Agathe in der Kaffee Konditorei Aida am Stock im Eisenplatz vorgestellt hatte.

„Habe ich ja, habe ich, in Krakau vor zehn Jahren, damals war ich als zweite Besetzung eingeteilt, ich habe aber sehr damit brilliert und bestens gefallen! Warum erkundigen Sie sich?”

Der dicke Mann schien auch über diese Antwort nicht erfreut und sie keineswegs so begeistert aufzunehmen, wie sie Krysztof gegeben hatte. Er starrte auf den Display seines Handies, das er immer noch in der Hand hielt und antwortete nicht sofort.

„Antonio Alvero hatte einen Unfall!”, sagte er schließlich und das klang noch viel unfreundlicher.

„Die Nachricht ist gerade hereingekommen. Er liegt auf der Intensivstation oder am Operationstisch und kann auf keinen Fall den Cavaradossi singen und die zweite Besetzung ist nicht aufzutreiben. Wir haben ein ausverkauftes Haus und können nicht absagen. Absagen wäre eine Katastrophe, wenn ich Sie aber heraufhole, wie es der Direktor vorschlägt, ist es das ebenfalls! Was meinen Sie? Können Sie den Cavaradossi singen? Halten Sie eine ganze Vorstellung durch und haben Sie die Szenerie so weit im Kopf, daß Sie nicht gleich im ersten Akt die Vorstellung schmeissen?''

Der dicke Herr warf nun beide Arme in die Luft und sah Krysztof an, als würde er genau das befürchten und vollstens davon überzeugt zu sein, Agathe aber hielt den Atem an. Der Securitymann starrte vor sich hin, als schien ihn das Ganze nicht zu interessieren und die beiden Mädchen hatten sich entfernt, ohne ein Foto von Krysztof geschossen zu haben.

Krysztof der bis jetzt verwundert auf den dicken Mann gesehen hatte, veränderte sein Verhalten und nickte mit dem Kopf.

„Ja!'', sagte er und das klang durchaus zuversichtlich.

„Ich kann es mir vorstellen, wenn sie mitkommen und zuhören kann, sie ist nämlich meine Muse!”, sagte er und zeigte auf Agathe, die daraufhin verlegen wurde und ihn noch erstaunter anstarrte.

„Dann helfe ich und springe für den großen Antonio Alvero ein. über das Honorar einigen wir uns, wenn die Vorstellung vorüber ist. Ich nehme bis dahin an, daß Sie, wenn ich nicht gepatzt habe, soviel wie für die zweite Besetzung bezahlen werden und wenn nicht, war es eine gute übung und eine Chance für mich und da ich, wenn ich das Geld dazu habe, manchmal den Stehplatz zu besuchen pflege, habe ich auch das Regiekonzept soweit im Kopf, daß ich nicht auf der falschen Seite auftreten und die Richtige küssen werde!''


Alfred Nagl
Last modified: Thu Feb 8 23:16:38 CET 2007