CoronaTexteBuch

Das vorliegende Buch besteht aus einer Sammlung meiner von März 2020 bis Oktober 2021 im „Literaturgeflüster” entstandenen Corona-Texten, die sowohl einen Einblick auf das subjektive Erleben der Krise einer seit 1973 schreibenden Frau geben, als auch die Entwicklung und Veränderungen der Pandemie-Situation beschreiben.

Weitere Texte zu diesen und anderen Themen sind auf meinem Blog

„literaturgefluester.wordpress.com”

zu finden.

Der Traum

5. 2. 2021

„Uje, uje!”, dachte Ursula und schaute vorsichtig vor sich hin. Genau genommen schielte sie um die Ecke. Ihr Herz klopfte verdächtig laut, sie war aufgeregt und außer Atem, die Haare zerzaust.

„Verdammt, verdammt, großer Schit und Ungewitter!”

Sie konnte schon die Stimme ihrer Mutter und ihres Freundes Uli hören, die sie mahnten und „Benimm dich, Uschi, du sollst nicht fluchen, weißt du das nicht? Hast du das nicht in der Schule gelernt, daß man das nicht soll?”, zu ihr sagten.

Die Mutter würde sie streng mustern und „Zum Friseur solltest du auch einmal gehen, Kindchen, deine Haare sind viel zu lang! Das schaut nicht gut aus und macht einen schlechten Eindruck, wenn du so ungepflegt mit wilden Zotteln durch die Gegend rennst!”, mahnen.

Noch einmal „Verdammt, verdammt!”, vor sich hindenken, tief durchatmen und versuchen nicht zu sehr zu hyperventilieren. Denn das war es, ganz genau!

„Stimmt, lieber Uli, du hast ganz recht!”, könnte sie denken.

„Ich schaue wirklich fürchterlich aus und genau das ist das Problem, wo ich auch fluchen darf! Denn du tust das auch! Äußerst deinen Unmut auch nicht mit schönen Worten, wenn du dich wieder einmal über die blöden Genderfrauen ärgerst, die partout „Heimat bist du großer Töchter!”, singen wollen und nicht verstehen können, wenn sich Andreas Gabalier darüber ärgert! Über die „Hirnverbrannten Idioten!”, äußerst du dich auch nicht gerade vornehm, wenn die wieder einmal verlauten, daß sie eine „Pippi Langstumpf-Ausgabe” verbrennen wollen, weil da das böse Wort „Negerkönig” enthalten ist! Dann schüttelst du den Kopf und fluchst und schimpfst noch viel lauter als ich! Aber du hast recht! Ich bin schon still, denn das ist jetzt nicht das Thema und auch kein Problem! Das ist ein ganz anderes, liebe Mama, denn du hast ebenfalls recht, ich sehe fürchterlich aus und sollte schleunigst zum Friseur, weil ich da schon seit letzten Juli nicht mehr war und jetzt haben wir Februar! Du hast ganz recht, es wäre längst an der Zeit! - Warum tust du es dann nicht, liebes Urselchen?”, höre ich dich von deiner Wolke sieben oder fünfundvierzig fragen, wo du dich, wenn man den Mythen glauben kann, momentan befindest!”

„Warum tust du das nicht? Ruf doch den Herrn Erich an, das ist ein Könner seines Fachs und so teuer ist er auch nicht, daß du ihn dir nicht leisten kannst! Dann sparst du eben an anderer Stelle, weil es wichtig ist, immer adrett auszusehen, um einen guten Eindruck zu machen! Habe ich dir das nicht beigebracht?”

„Hast du, Mama, keine Frage! Aber du hast, leider, leider, das letzte Jahr nicht erlebt! Der Brustkrebs hat dich dahingerafft, so daß du nicht weißt, daß das heutzutage nicht so einfach, sondern ganz und gar verboten ist!”, dachte Ursula und seufzte nochmals auf.

„Ha, ha, verboten, das stimmt doch nicht! Da hast du jetzt etwas verwechselt und bist dabei die Wirklichkeit zu verdrehen, weil sie dir nicht passt!”, würde wohl jetzt der Uli sagen oder nein, der nicht. Der war in diesem Punkt wohl ihrer Meinung und ließ sich wahrscheinlich gerade selber einen Bart wachsen, fuhr sich mit einer Haarschneidemaschine übers Haar oder setzte sich das berühmte Häferl auf, um rundherum darum zu schneiden, so wie man das beim Militär oder in der Kadettenausbildung früher mal so machte.

Ihrer Freundin Edeltraud könnte sie diesen Sager schon eher in den Mund legen und die war vor Weihnachten, als man das gerade noch zwei Wochen durfte, dort gewesen. Hatte sich waschen, schneiden, föhnen, Strähnchen legen und auch ein bißchen färben lassen, sowie ihr das Resultat dann stolz gezeigt und gerade vorhin hatte die Traude angerufen und ihr versichert, daß sie mit ihrem Starfigaro schon einen Termin für nächste Woche, wo die Friseure wieder öffnen durften, vereinbart hatte.

„Das war gar nicht so einfach, einen Termin zu bekommen, Urselchen! Da mußte ich meinen ganzen Charme verwenden, um den Figaro zu überzeugen und richtig bei der Apotheke muß ich auch anrufen, um mich für den vorgeschriebenen Schnelltest anzumelden! Ich rate dir das auch zu tun oder hast du vor in eine dieser Teststraßen zu gehen?”, hatte sie wissen wollen und hätte sie, wenn das Gespräch nicht per Telefon passiert wäre, sicher genauso schräg, wie die liebe Mama gemustert und „Du hast es auch schon nötig, dir einen Termin zu sichern, denn du siehst wirklich sehr zerzupft aus!”

Richtig, das tat sie wohl! Die Haare waren gewachsen und langten schon beinah zu ihren Schultern und weil sie sehr dünne Haare hatte, die sich ringelten und kringelten, sah das wirklich nicht schön aus! Waren eigentlich noch nie so lang gewesen und die Stirnfransen total verschnitten. Denn da war sie seit letzten Juli selber zwei drei Mal mit der Schere drüber gefahren und weil sie keine Friseurin war, sah es auch entsprechend aus und die Kollegen würden, wenn sie wieder ins Büro durfte, sicher ebenfalls „Hast du schon einen Friseurtermin? Du hast es wirklich nötig! Denn du siehst schon fürchterlich aus!”, mahnen.

Hatte sie nicht. Keinen beim Friseur und keinen in der Apotheke, um sich vorher Freitesten zu lassen, wie das jetzt hieß und was man mußte, um bei einem Figaro zugelassen zu werden. Eine FFP2-Maske hatte man auch anzulegen und, wie der Figaro dann rundherum die Haare schnitt, war auch nicht so klar und sie eine Maskenverweigerin. Sie mußte aber zum Friseur, denn ihre Haare waren im letzten halben Jahr sehr gewachsen, so daß eine Rundherumerneuerung dringend nötig war und sie Edeltraud nicht wirklich etwas entgegnen konnte, wenn sie mahnte, sich doch einen Termin auszumachen.

„Du hast das, glaube ich, dringend nötig! Hast du schon gebucht?”

„Habe ich nicht!”, hatte sie kleinlaut geantwortet und nicht verhindern können, daß sie rot geworden war. Rot und verlegen und keine Antwort auf Edeltrauds Frage, ob sie vielleicht vor hatte, sich illegal bei einem Friseur ohne Test und Maske einzuschleichen und ihn und sich damit zu gefährden?

„Hast du das etwa vor, Urselchen und weißt du nicht, daß das dem seine Konzession kosten und auch du bis zu tausend Euro Strafe zahlen kannst, wenn man dich dabei erwischt? Sag, Ursula, ich merke es dir an, du hast das vor! Nenn mir den Namen dieses Figaros damit ich ihn, um die Allgemeinheit zu schützen, als gesetzeskonforme Bürgerin anzeigen und sein Handwerk legen kann!”

„Habe ich nicht!”, hatte sie wiederholt und Edeltraud weggedrückt. Dann nach ihrem Rucksack und der Jacke gegriffen und war losmarschiert. Denn sie hatte tatsächlich vor solches zu versuchen. Eine Adresse und einen Tip zugesteckt bekommen, wo man sich am Abend in einen Keller schleichen, an einer verschlossenen Türe klopfen, ein Codewort murmeln und nach einem genauen Klopfsignal, wenn man Glück hatte, in die heilige Halle eingelassen wurde.

„Klopf, klopf!”, machten Ursulas Finger. Sie zitterte, ihre Haare waren naß vor Schweiß und die Türe öffnete sich, obwohl sie immer lauter klopfte, nicht und nicht.

„Nein, das war kein Klopfen, das war ein Schrillen, das war das Weckersignal!”, dachte Ursula verschlafen, öffnete die Augen und schüttelte den Kopf. Es war der Wecker und sie hatte einen schlechten Traum gehabt. Ein Alptraum war es, der sie angsterfüllt und schweißbedeckt aufwachen ließ. Ein dummer Traum und weiter nichts!

„Dumme Ursel!”, würde ihre Mutter schimpfen.

„Das hast du davon, daß du soviel liest! Das hast du von deinen dystopischen Romanen, von deinem „1984”, der „Schönen neuen Welt”, „Mathilde im Coronaland” und wie sie alle heißen! Laß das doch! Davon wirst du nur verrückt!”

Ursula war aufgestanden und mit nackten Füßen ins Badezimmer getappt, um sich den Schweiß von der Stirn zu waschen. „Stimmt, Mama! Das war wirklich nur ein Unsinn, was ich da träumte und Gott sei Dank weit entfernt von jeder Realität! Ich werde mich bessern und keine Horrorgeschichten vor dem Einschlafen mehr lesen! Aber Herrn Erich sollte ich wirklich anrufen, da hast du schon recht!”