Dieses Buch führt uns ein in das Leben der geradevierzig Jahre alt gewordenen Dora Faust, die wohl besessen schreibt, aber leider bis dato erfolgfrei geblieben ist. Gleichzeitig mit ihrem runden Geburtstag feiert sie auch ihr zwanzigjähriges Schreibjubiläum. Da legt sie auch einen Schwur ab, „keine Zeile mehr über das erfolglose Schreiben zu verfassen”. Dennoch schreibt sie unermüdlich und nächtelang weiter. Sie erlebt aber auch Geschichte um Geschichte, die sie als selbsternannte „Stadtschreiberin” nicht nur genießt, während sie sie erlebt, sondern auch gewissenhaft notiert. Herrlich trocken, aber pointiert wird erzählt, wobei so zwischendurch der ganze Wiener Literaturbetrieb insidermäßig dargestellt wird. Sie macht Bekanntschaft interessanter Männer, von denen der eine, ein Arrivierter, ihr, die so gerne wirklich anerkannt werden und von ihren Books on Demand wegkommen möchte, eine gute Geschichte stiehlt, als er unter Zeitdruck steht, eine Kurzgeschichte in einer großen Tageszeitung zu veröffentlichen. Allerdings weiß er da noch nicht, daß sie eine Schreibkollegin ist.

Ob es Dora Faust gelingt, mit ihrem Schwur auch die „Erfolgsfreiheit” abzulegen? Hat sich das Schreiben darüber bisher als selfulfilling prophesy nur dagegen gestellt?

Eveline Haas

1.

Uff, war das Fest anstrengend gewesen und ich daher ein wenig niedergeschlagen, jedenfalls aber nicht in guter Stimmung, als ich an diesem Morgen kurz nach neun erwachte. Müde und so gar nicht ausgeschlafen stapfte ich in Hauspantoffeln und im Pyjama durch Schlaf- und Vorzimmer in die Küche meiner kleinen Wohnung, Fichtegasse Nummer sechs, wo ich auch gleich über die Spuren meines gestern abend stattgefundenen Festes stolperte. Das Fest, das ich mir zum vierzigsten Geburtstag schenken wollte und das, wenn schon nicht zu einer Katastrophe, so doch zu einem Fiasko geworden war, an das ich mich später höchstwahrscheinlich gar nicht gern erinnern würde. Ich, die vierzig Jahre alt gewordene Dora Faust, die besessen schreibende, aber leider bis dato erfolgfrei gebliebene Schriftstellerin, die es daher auch nicht zu einer solchen gebracht hatte und die doch den vierzigsten Geburtstag zu einer Präsentation ihrer literarischen Tätigkeit nutzen hatte wollen.

Ich fand auch alles vor, wie ich es gestern kurz vor Mitternacht zurückgelassen habe. Unaufgeräumt und übergeblieben, die Spuren des Buffetsauf dem Küchentisch, von dem reichlich noch vorhanden war, auf dem Küchentisch. Waren gestern doch viel weniger Gäste als erwartet zu meinem Fest erschienen. Benützte Gläser standen herum und Körbchen mit Pistazien und dem Salzgebäck, denn als die letzten Gäste gegangen waren, habe ich keine Lust gehabt noch groß aufzuräumen und das auf den heutigen Morgen verschoben, was ich nun auch in Angriff nehmen wollte. Vorher aber noch Kaffee getrunken und im Eiskasten nachgeschaut, da sich dort ja noch die Platte mit den Käse- und den Schinkenbroten befinden mußte, die niemand essen hatte wollen und dabei habe ich mir für das Vorbereiten große Mühe gegeben und war sogar auf den Naschmarkt gegangen, um dort besonders feinen Schinken und zwei französische Käsesorten einzukaufen, die mir jetzt zum Frühstück schmecken sollten. Auf dem Tisch lag das Kuvert, das mir Lotte mit dem gewissen Lächeln in die Hand gedrückt, nachdem sie mich zur Begrüßung euphorisch geküßt und umarmt hat.

„Grüß dich, liebe Dora! Wie schön dich wieder zu sehen! Ich wünsche dir das Beste zum Geburtstag! Du siehst wirklich wundervoll aus!”, hat sie mit derselben agitierten Begeisterung hervorgestoßen und mir das bewußte Kuvert gegeben. Ihre Geburtstagsgabe, die mir, wie Lotte munter geplaudert hatte, hoffentlich auch große Freude machen würde.

„Denn ich weiß ja, du bist literarisch interessiert und darin Expertin!”, hat sie mit neuerlicher Begeisterung hervorgestoßen und mich mit dem Kuvert alleingelassen, um die sieben anderen Geburtstagsgäste zu begrüßen, die noch erschienen waren und diese jeweils mit einem spitzen Freudensschrei eng an sich zu drücken. In dem Kuvert, das ich voller Neugier geöffnet habe, lag die Quittung einer Volkshochschule. Es war ein Gutschein für den Besuch einer Schreibanimation in der Volkshochschule Brigittenau für „Menschen mit und ohne Schreiberfahrung”, wie im Begleittext angeführt stand, der ihnen an zehn Donnerstagen jeweils zwischen siebzehn und neunzehn Uhr beibringen sollte, wie man sich bestimmten Themen nähern, mit der Sprache experimentieren und dazu auch noch die Phantasie benutzen kann. Und die euphorisch vor sich hinlächelnde Lotte hat es gut gemeint und mich, die seit zwanzig Jahren schreibende Frau, bestimmt nicht kränken wollen. Natürlich war es als Gag und nicht als Beleidigung zu verstehen, denn Lotte war eine originelle Person, die sich immer genau überlegte, was sie ihren Freunden schenken sollte. Lange und sorgfältig dachte sie darüber nach und begnügte sich niemals mit den üblichen Bonbonnieren, Parfumfläschchen oder Blumensträußen, die ich von meinen anderen Gästen bekam.

Der Kaffee war fertig geworden und das schmutzige Geschirr in die Abwasch gestellt, so daß ich, wie sich das gehört und ich es auch so wollte, meinen eigentlichen Geburtstagstag nun feierlich begehen konnte. Die Platte mit den übergebliebenen Schinken- und Käsebroten thronte auch schon an der Stelle, wo vorhin Lottes Kuvert gelegen hat, das zu einem feierlichen Geburtstagsfrühstück sicherlich viel besser passte, nur die Torte fehlte. Eine Sachertorte mit Ribiselmarmelade, Schokoladeglasur und aufgespritztem Zuckerdekor, habe ich mir gestern nicht gebacken, denn es sollte ja eine literarische Feier werden, zu der ich vierzig Freunde und Bekannte eingeladen habe. Eine absolut literarische, die nicht nur aus einer Lesung bestehen hätte sollen, wie das in den letzten Jahren regelmäßig so war. Nein, mein zwanzigjähriges Schreibjubiläum habe ich noch mit einer Buchpräsentation feiern wollen und so habe ich auch in dem Kabinettchen alle meine Bücher aufgestapelt, die ich nicht nur geschrieben, sondern auch selber im sogenannten Book on Demand Verfahren zu jeweils fünfzig Exemplaren herausgegeben habe. Dazu hatte ich mich entschlossen, nachdem es mit den Verlagen nicht zu klappen schien und der allgemein erschwingliche Digitaldruck eine solche Selbsthilfe möglich machte. Leider aber haben nicht nur zweiunddreißig Eingeladene an diesem Abend keine Zeit, beziehungsweise etwas Besseres vorgehabt, es war ausgerechnet auch die Präsentation meiner Werkausgabe, die sich als besonderes Fiasko erwiesen hat, denn sie war von meinen Gästen nicht gut angenommen worden. Die acht Personen, die schließlich doch gekommen waren, haben sich für meine fünf Bücher nicht besonders interessiert, so daß meine kleine Buchausstellung nahezu unbemerkt geblieben war, nur Lotte hat kurz darauf geschaut und „Das ist ja großartig, liebe Dora!”, ein wenig unecht wirkend ausgerufen, bevor sie sich mit Entzücken an einen meiner Gäste wandte und Hanna, eine ebenfalls schreibende Freundin hat mich diskret beiseite genommen und mir „Du solltest nicht soviel über das erfolglose Schreiben schreiben, weil das ja wirklich niemanden interessiert!”, ins Ohr geflüstert und mir dann ihr eigenes Gedichtbändchen mit den besten Wünschen zum Geburtstag überreicht, bevor wir ins Wohnzimmer gegangen waren, wo die anderen mit ihren Gläsern standen, denen ich dann auch ein Kapitel aus meinem letzten Roman vorgelesen habe. Danach habe ich die eingekühlte Flasche Sekt aus dem Kühlschrank genommen, meinen Gästen zugeprostet und das Buffet eröffnet.

Der Kaffee war heiß und stark geworden. Ich ließ ihn über meine Kehle rinnen und dachte an die zweite Flasche Sekt, die immer noch im Kühlschrank lag, denn meine acht Geburtstagsgäste haben sich nicht nur für meine Book on Demand Ausgaben nicht sehr interessiert, sie schienen sich auch zu den Antialkoholikern zu zählen und so war noch eine ganze Flasche vorhanden, die ich nun leeren konnte, obwohl ich keine Gäste mehr erwartete. Die übergebliebenen Käsebrote schmeckten öd und trocken und die so liebevoll ausgesuchten Sorten waren auch nicht mehr zu erkennen und das passte ja zu der trüben Stimmung, in der ich mich befand. Und so stand ich auf und tappte im Pyjama und in meinen Hauspantoffeln zum Eisschrank hin, denn der Kaffee war getrunken und die restlichen Brote wollte ich nicht mehr essen. Mein Hunger war verraucht und weggeblasen und so nahm ich die Sektflasche und drehte an dem Korken.

„Prost, Dora Faust!”, sprach ich mich dann selber an. „Ich wünsche dir das Beste zu deinem zwanzigjährigen Schreibjubiläum und zum runden Geburtstag, aber wie es scheint, hättest du das Fest besser lassen sollen!”

Denn auch Margarete war nicht zu meinem Fest erschienen und Margarete, meine andere schreibende Freundin, hat mir keine fadenscheinige Ausrede als Entschuldigungsgrund angegeben, sondern mir wütend den Erzählband „Schreibweisen” mit der Bemerkung, keinen Bedarf daran zu haben, zurückgesandt. Was prompt Schuldgefühle in mir verursachte, hatte Margarete sich doch in einer der drei Freundinnen meiner Heldin Katharina erkannt und schien als sensible Person beleidigt und betroffen von mir literarisch erwähnt zu werden und dabei hatte ich es gut gemeint, als ich ihr das Buch bei unserem letzten Treffen übergeben habe.

Das hatte ich nun davon: ein retourniertes Buch, Hannas Lyrikbändchen, Lottes Gutschein für eine Schreibanimation in der Volkshochschule Brigittenau und dann noch ein paar rote Nelken, eine Schachtel „Mon cherie” und ein Fläschchen Kölnischwasser in Geschenksverpackung mit einer blauen Schleife. Nicht gerade üppig für einen vierzigsten Geburtstag und es war auch noch nicht alles. Denn Gunda Scher von der literarischen Gesellschaft Gänserndorf und Mathilde Haslauer, die Generalsekretärin des Wiener Literaturvereins habe ich ja meine Werkausgabe auch geschickt und sie waren ebenfalls nicht begeistert gewesen. Gunda Scher hatte mir meine Bücher zwar nicht zurückgeschickt, aber doch bedauernd ihren Kopf geschüttelt und „Ich bitte zu verstehen, daß ich die Bücher nicht besprechen kann, da ich mich vor der Lawine fürchte, die damit losbrechen könnte. Denn wenn ich erst einmal damit beginne, etwas im Eigenverlag Erschienenes anzunehmen, würden alle verkannten Dichter kommen und, wie gesagt, davor fürchte ich mich sehr!”, zu mir gesagt. Mathilde Haslauer war dagegen nicht so direkt gewesen. Nicht so direkt und auch nicht so brutal. Sie hat mich nur angelächelt, etwas hilflos dreingeschaut und hinzugefügt „Daß sie mir alles Gute wünschen und mir fest die Daumen drücken würde!”, was letztlich dasselbe war. Mit dem einzigen Unterschied, daß es sich mit gedrückten Daumen nicht gut schreiben läßt, für mich also nicht geeignet war, wie ich ein wenig aufmüpfig dachte, als ich den Sekt eingoß und das Glas kurz darauf genauso trotzig hoch erhob. Das hatte ich von meinem Versuch mir selbst zu helfen, eine Methode, die mir nach einem Vortrag über Digitaldruck und Book on Demand Verfahren als gut geeignet schien. Nur leider schienen die anderen die neuen Zeichen der Zeit nicht zu verstehen, denn sie sprachen noch vom Eigenverlag und Möchtegernautoren, während ich meine Werkausgabe als geballte Frauenpower verstanden habe. Eine übergebliebene Flasche Sekt, eine Platte vertrockneter Käsebrote, ein roter Nelkenstrauß, obwohl ich kein Mitglied der Sozialdemokraten war und da lag ja immer noch Lottes Kuvert mit dem Gutschein für eine Schreibanimation an der Volkshochschule Brigittenau auf meiner Anrichte neben der Schale mit den Zitronen und dem Messerblock.

„Prost Dora Faust, alles Gute zum vierzigsten Geburtstag! Hoch das Glas gehoben und dir wacker Antwort geben, was du mit alldem nun beginnen wirst! Den Gutschein einlösen oder in den Mistkübel schmeißen? Was hat mir Hanna in meinem Kabinettchen nur verlegen ins Ohr geflüstert? Daß ich das Schreiben lassen soll, hat sie mir geraten! Salut, vielleicht ist das die Möglichkeit! Am vierzigsten Geburtstagsmorgen hoch das Glas erhoben und mir selber zugerufen, ab nun keine einzige Zeile mehr über das erfolglose Schreiben zu verfassen. Ich, Dora Faust, gelobe mir an diesem trüben Geburtstagsmorgen ab nun dem Schreiben abzuschwören, wenn ich das doch ohnehin nicht kann und es niemanden interessiert!”, sprach ich mit heiserer Stimme diesen Schwur nun wirklich aus und leerte das Glas.

Schnell und hastig tat ich das, dann schüttelte ich mich, um meine düsteren Gedanken loszuwerden, stellte die Flasche in den Kühlschrank und das Glas in die Abwasch, und begann aufzuräumen, wie ich es mir vorgenommen habe.


Alfred Nagl
Last modified: Mon Feb 19 18:38:41 CET 2007