Die Kollegen sind nur an ihren eigenen Texten interessiert. In Eva Jancaks neuem Roman „Die Stimmungen der Karoline Wagner oder Fluchtbewegung” geht es ums Beobachten und Beobachtetwerden. Eine erfolglose Lebensberaterin, eine ebenso erfolglose Autorin und eine erfolgreiche Schriftstellerin: Jede der Frauen lebt und arbeitet in ihrer eigenen Welt, beobachtet mit mehr oder weniger großem Interesse/Neid/Eifersucht das Tun der anderen. Während die eine keinen Auftrag als Coach oder Supervisorin ergattert, die andere in deprimierten Harakiri-Angriffen Lesemöglichkeiten mit ihrem selbst verlegten Buch aufgabeln will, verschanzt sich die dritte in einer heimlich angemieteten Wohnung, um dem Medienrummel (den sich die andere wohl wünschen würde) zu entkommen.

Ein Versteckspiel, das natürlich keines ist. Denn en passant deckt die Autorin Ängste und Geheimnisse ihrer Protagonistinnen auf.

Erika Kronabitter

23.

„Wenn man das Haus nicht verlassen kann, muß das Leben in der Phantasie stattfinden und das Schreiben wird zum Realitätsersatz, beziehungsweise zur Pflichtübung”, dachte sie und nahm mit der Teekanne vor ihrem Schreibtisch Platz. Sie setzte sich an das Fenster. Ja wirklich, sie hatte den Schreibtisch für ihre Zwecke dorthin gerückt und die Vorhänge zurückgeschoben. Nicht viel, eine Spur, eine Handbreit vielleicht, gerade, wie es zu gebrauchen war. So daß sie auf das gegenüberliegende Fenster und die Frau, die dort am Schreibtisch saß, blicken und die Geschichte kommen lassen konnte.

Sie tat es, seit der Fernseher abgeschaltet war und das Mädel sie verlassen hatte. Denn die Millionenshow hatte sie nicht zu interessieren. Davon hatte sie genug, nicht von der Million natürlich, die würde sie sparen und achtsam in ihren Ausgaben sein. Da war keine Gefahr. Da besaß sie eine beinah zwanghafte Tendenz zur Kleinbürgerlichkeit, auf die sie sich verlassen konnte, die ihr auch die Mutter anerzogen hatte. Die Million würde sie nicht leichtsinnig aus dem Fenster werfen, deshalb hatte sie den Fernsehapparat abgeschaltet und sich vor den Schreibtisch gesetzt. Die Million mußte verdient werden. Dazu benütigte sie die Frau am Fenster, nachdem das Mädel gegangen war und sie nicht so einfach auf die Straße konnte. Noch war sie nicht mit der Arbeit fertig, hatte mit dieser doch noch gar nicht begonnen. Gerade heute war sie nachlässig und hatte das festgesetzte Pensum nicht zu Ende geführt. Mußte weitermachen mit Disziplin und eiserner Beharrlichkeit, das brauchte es, um dorthin zu gelangen, wo sie sein sollte. Also konzentriert den PC und dann die vor ihr liegende Hauswand fixiert, den Schatten der Frau natürlich, die vor ihrem Schreibtisch saß und so etwas wie ihre Spiegelexistenz darstellte. Was sie wohl gerade trieb, die ihr unbekannte Frauensperson?

Sie saß dagegen am Schreibtisch und absolvierte ihre Fensterpromenade. Erledigte ihren Arbeitsauftrag und trank den Tee, den das Mädel ihr gebracht hatte.

Was tat die gegenüberwohnende Unbekannte? Um sie richtig anzusprechen, benütigte sie einen Namen und da sie den nicht wußte, mußte sie sich einen ausdenken. Einen schünen wohlklingenden, der wie Musik hinunterrutschte und sich solcherart gebrauchen ließ. So etwas wie Clarissa, Clara, Caroline oder Constanze, fiel ihr ein. Vier C-Komponenten also. Wie Clara Schumann, die Ehefrau und berühmte und doch unbekannt gebliebene Komponistin. Komponistin würde die Frau gegenüber nicht sein. Würde sie da doch vor dem Klavier und nicht am Fenster sitzen. Vielleicht komponierte sie aber am PC, wie auch sie auf ihrem schrieb.

Clara Schumann am Personal Computer? Da mußte sie ein wenig lachen, war das ja ein abwegiger Gedanke und da fiel ihr auch die Rede ein, die es vor der Millionenshow im Fernsehen zu hüren gab. Larissa Lichtblaus Europapreisrede, die hatte sie ebenfalls sehr angestrengt, auch wenn sie sie nur angesehen hatte. Und da hatten die Kritiker, die nichts wußten und nichts verstanden, ja auch von einer streng durchstilisierten Komposition gesprochen.

Angesehen und zugehürt. Eine Clara oder Clarissa Schumann vielleicht. Caroline, Constanze, Carolyn, eine moderne Komponistin des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die auch Olga Neuwirth heißen künnte, die es schon gab und die sie kannte.

Aber Olga ging nicht, das war zu persünlich. War Olga ja für sie bestimmt und die Wohnung auf diesen Namen gemietet. Obwohl Olga Neuwirths Musikstil passen würde, wenn die Unbekannte komponierte. Wer sagte aber, daß sie das tat? Vielleicht würde sie schreiben. Einen Roman oder ein Theaterstück, wie Larissa Lichtblau, die Europapreisträgerin, die vorhin mit ihrer streng durchkomponierten Rede im Fernsehen aufgetreten war.

Das ging auch nicht, das strapazierte schon wieder das Nahverhältnis, obwohl ohne Zweifel mehr schreibende Frauen als Komponistinnen existierten. Die Krankheit der modernen Frauen lag eher in der Musik, als in der Literatur begründet, das stimmte schon. Obwohl es ein krankhaft perverses Leben war, das sie jetzt führte. Aber wer sprach von ihrer Person? Das tat keiner, auch wenn sie vorhin Larissa Lichtblaus Europapreisrede und den Beginn der Millionenshow gesehen hatte und das waren, wie festgestellt, zwei Wirklichkeiten, von denen sie keine betraf. Olga Binder war von beiden ausgenommen und die Frau gegenüber, die sie von ihrer Fensterpromenade beobachtete, war gleichfalls nicht betroffen.

Sie hatte den Fernsehapparat abgeschaltet, sich dem trivialen Voyeurismus einer Fernsehshow entzogen, wie sie es von der Mutter gelernt hatte und sich an das Fenster begeben, um hinter dem einen Spaltbreit weggeschobenen Vorhang zu ihrem Ersatzleben zu gelangen.

Sie gab ja zu, daß das abartig klang und krankhaft war. Die Krankheit der modernen Frauen eben, aber da war sie schon und das war auch ihr Erfolg. Darin lag ihre Stärke und ihre unbekannte Schwester war nur in der Phantasie davon betroffen. Saß die ja ganz normal am Fenster und betrieb womüglich Lohnbuchhaltung oder korrigierte Schularbeiten und ging morgen früh einem ganz gewühnlichen Leben nach, während es bei ihr Ersatz und Konserve war. So, wie sie auch das Mädel vorhin eingeladen hatte, ihr von ihrem Leben zu erzählen, aber die hatte ihre Bibliothekswand angestarrt, auf der die Bücher standen, die das Resultat ihres Ersatzvoyeurismus waren und dann von ihrem Mürderspiel gesprochen.

Was war, wenn sie die Fensterpromenade verließ, sich zum Fernseher begab, um die Millionenshow weiterzusehen? Die Mutter würde nicht damit zufrieden sein und sie nachlässig nennen, aber die Gestrenge war schon lang gestorben, hatte ihre Urne am Zentralfriedhof und einen Blumenstrauß auf der weißen Marmorplatte liegen. Sie sollte sie in Ruhe lassen, was hatte sie sie zu quälen? Sie hatte zwar ihr Arbeitspensum noch nicht erreicht, aber das ging nur sie etwas an und die Belohnung war ja schon gekommen. Das hatte sie vorhin gesehen, als der Fernsehapparat noch eingeschaltet war.

Und auch das war nur Ersatz, weil sie nicht auf die Straße und ins Leben konnte. Sie tat es auch nicht. Denn auch die Millionenshow wäre ein Kompromiß, wenn auch ein normalerer, als Larissa Lichtblaus streng durchkomponierte Dankesrede. Die Millionenshow war der Traum der vielen, die eben diesen Voyeurismus praktizierten und der Gewinnerin die Million genauso neideten, wie Larissa Lichtblau den Europapreis. Und das war sicherlich normaler, als wenn sie bei der Fensterpromenade hockte, um sich ein fremdes Leben zu erdenken und damit ein Kapitel schrieb. Konnte sie ja nicht einfach hinübergehen und die andere nach ihrem Namen fragen, wie es die Hausmeisterin und das Mädel sehr wohl praktizierten. Der Ersteren üffnete sie die Türe aber nicht und das Mädel war nicht mehr bestellt. Und die Lehrerin, Buchhalterin, Komponistin oder Schriftstellerin drüben würde sich schün bedanken und von Hausstürung sprechen, wenn sie es wirklich täte. Sie mußte es sich schon erarbeiten, wenn sie mit sich zufrieden sein und im Bett ihre Krimibelohnung haben wollte.

Erst die Arbeit, dann das Spiel, hatte nicht nur die Mutter gepredigt, das war auch der Spruch der Schulmeister und in der Millionenshow kam sie nicht vor. Die ging sie nichts an. War ihr schon das Belauschen von Larissa Lichtblaus Europapreisrede schwer genug gefallen, mußte sie sich das nicht auch noch geben. Die Europapreisrede hatte zu ihrem Arbeitspensum gezählt. Von der Millionenshow war nichts in ihrem Plan gestanden, auch wenn sie die gern gesehen hätte, um sich zu unterhalten.


Alfred Nagl
Last modified: Mon Feb 19 19:12:55 CET 2007