Haus

Vier Frauengenerationen stehen im Mittelpunkt der Erzählung „Das Haus” von Eva Jancak. Anhand der Lebensgeschichten von Klara Gerstinger, deren Tochter Johanna, deren Enkelin Sarah und der Urenkelin Naomi zeichnet Eva Jancak trotz der Kompaktheit der Erzählung einen breiten Bogen über 100 Jahre österreichische Geschichte, vor allem auch über 100 Jahre österreichische Frauengeschichte. Und beim Lesen merkt man, dass es so viel Neues nicht gibt, dass bereits zu Johannas Jugendzeiten, in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts es möglich war, ein selbstbewusstes Leben als Frau zu führen und dass auch im 21. Jahrhundert Frauen unter starkem gesellschaftlichen Druck stehen. Sympathisch gelingt es Eva Jancak, ohne die Gräuel des Nationalsozialismus zu verleugnen und ohne es an klaren Worten fehlen zu lassen keine Schwarz-Weiß Malerei zu betreiben und sie zeigt so einmal mehr ihre besondere Fähigkeit, empathisch Figuren in all ihren Facetten zu zeichnen. Männer spielen in dieser Erzählung eine Nebenrolle. Auf sie ist wenig Verlass, Beziehungen zu ihnen sind meist brüchig.

Den Rahmen der Erzählung bildet ein groß angelegter Rückblick der Protagonistinnen am Vorabend von Klaras 100. Geburtstag, der mit der 100 Jahr Feier des Otto Wagner Spitals zusammenfällt, an das Klara, Johanna und Sarah als Psychiaterinnen schicksalhaft gebunden sind. Und so gibt der Erzählung auch einen Überblick über 100 Jahre Psychiatriegeschichte.

Bilder sind es, die die Gedanken an die Vergangenheit anregen, Bilder, die Naomi, die Urenkelin, für ein Schulprojekt von der Urgroßmutter bekommen soll und in anschaulichen Bildern stellt „Das Haus” ein Jahrhundert Zeitgeschichte dar.

Otto Lambauer

Prolog

Die Hundertjahrfeier der Landes- Heil- und Pflegeanstalt am Steinhof fand an einem der schönen Herbsttage statt, die zum Verweilen und Spazieren in dem geräumigen Parkgelände aufforderten. Trotzdem eilten die meisten der feierlich gekleideten Festgäste eher hastig in Richtung des Jugendstiltheaters, um nicht zu spät zu kommen. Auch die beiden älteren Damen, die die mit Kies bestreuten Wege hinaufgingen, befanden sich in dieser Festtagsstimmung, obwohl die eine, eine hennarotgefärbte Schlanke mit modischem Kurzhaarschnitt, verächtlich durch die Nase schnupfte und den Kopf schüttelte, als die andere darauf zu sprechen kam.

„Hundert Jahre Steinhof!”, bemerkte sie etwas spöttisch, während sie sich umblickte, als würde sie in den Hinaufeilenden nach bekannten Gesichtern suchen.

„Was hast du, Johanna?”, antwortete ihre Begleiterin und schüttelte ebenfalls den Kopf.

„Bist du ja, wenn ich mich nicht irre und deine Familiengeschichte nicht durcheinanderbringe, ganz besonders in das Geschehen involviert. War doch dein Großvater höchstwahrscheinlich unter den Festgästen, als am 8. Oktober anno 1907, die Heil- und Pflegeanstalt eröffnet wurde, um den Kranken mit vierzig Pavillons, einer Kirche und dem Jugendstiltheater, das Schönste und das Beste in den weitverbreiteten Arealen des Wienerwalds, das damals an Qualität und Fortschritt möglich war, anzubieten oder war es dein Urgroßvater, der damals Oberarzt an einem der Pavillons war?”

Johanna Gerstinger schüttelte nochmals den Kopf und schnaufte heftiger durch die Nase.

„Es war schon der Großpapa, liebe Marianne, du bist richtig informiert. Johann Gerstinger, gerade dreißig Jahre alt, wird natürlich ernst und feierlich im Ärztemantel dabei gewesen sein, so wie du auch jetzt solcherart gekleidete Herren siehst. Und die Sarah schaut auch nicht anders aus, obwohl sie sicher hübscher ist, als es die Herren damals waren und die Anzahl der Oberärztinnen, die sich bei dem Festakt befunden haben, wird auch bei Null gewesen sein. Ärztinnen hat es vor hundert Jahren sicher noch nicht viele gegeben, höchstens ein paar Schwestern werden mit strengen blauen Schürzen und weißgestärkten Ordenshäubchen hinter den Herren Doktoren herspaziert sein. Da ja meine Mutter eine der ersten war, die mit ihrer Spitalsausbildung auf dem Areal begonnen hat, aber das war viel später. Ist sie 1907 noch in den Windeln gelegen. Es hat sich also doch etwas geändert. Sehr viel sogar und wir haben es erlebt, als wir in den Siebzigerjahren die Gruppe der kritischen Mediziner gegründet haben. Aber genug davon. Du weißt das alles und ich suche auch nach Sarah. Sind wir doch verabredet, sag Marianne, hast du sie gesehen?”

Marianne Oberwallner, Fachärztin für Psychiatrie und wie Johanna Gerstinger, nur noch als Psychoanalytikerin tätig, schüttelte den Kopf.

„Nein, aber deinen Ex. Der Herr Stadtrat in Ruhe hat gerade in der ersten Reihe Platz genommen!”

Johanna Gerstinger schnaufte nochmals durch die Nase.

„Laß ihn doch, Marianne! Es ist schon klar, daß der Otto unter den Eröffnungsgästen ist, auch wenn er seinen Ruhestand genießt, wird er sich hier befinden. Aber du weißt ja, ich habe nach meiner Scheidung wieder meinen Mädchennamen angenommen und das ist auch schon fast fünfunddreißig Jahre her. Lassen wir die Vergangenheit und sehen uns nach Sarah um, die heute Oberärztin an einem der Pavillons ist und im Gegensatz zu mir kein Problem mit dem Krankhaus hier hat. Also machen wir dem Anlaß entsprechend ein feierliches Gesicht und setzen uns!”, bestimmte Johanna Gerstinger energisch und hatte in diesem Moment ihre Tochter entdeckt, die tatsächlich den weißen Mantel der Spitalsärzte trug, der Mutter zuwinkte und langsam näherkam.

„Grüß dich, Mama!”, sagte die vierzigjährige schlanke Frau mit dem jugendlichen Gesicht und der vorwitzigen Sommersprosse auf der Nase und nickte Marianne Oberwallner zu.

„Kommst du, Mama, ich habe Plätze in der dritten Reihe reserviert!”

„Dann sehen wir uns später!”, bestimmte Marianne Oberwallner und lächelte Johanna an.

„Du weißt ja, ich bin nicht so konsequent wie du und werde mir erlauben, den Herrn Gesundheitsstadtrat in Ruhe zu begrüßen oder hast du etwas dagegen?”

„Aber nein!”, antwortete Johanna lachend und schüttelte ein drittes Mal den Kopf.

„Wie sollte ich? Ist er doch Sarahs Vater und wenn auch seine jüngste Gattin nicht viel älter als unsere Tochter ist, läßt sich nicht verleugnen, daß er sich um Sarah gekümmert hat, wenn es seine Zeit und die Verhältnisse zuließen und wir sind, obwohl ich wieder den Namen Gerstinger trage, auch befreundet. Nur seine jetzige Gattin mag mich nicht besonders und scheint eifersüchtig auf mich zu sein. Ich habe nichts gegen ihn. Und der großväterliche Name ist auch etwas, auf das man nicht besonders stolz sein kann. Schließlich war der Großpapa, der vor hundert Jahren aufgeregt und wichtig hier herumspaziert sein wird, fünfunddreißig Jahre später stolzes Mitglied der NSDAP und das ist kein Ruhmesblatt der Geschichte. Aber die Mutter war eine der ersten Anstaltsärztinnen, wurde auch vor hundert Jahren geboren und übermorgen werden wir ihren Geburtstag feiern!”

„Wie geht es ihr?”, erkundigte sich Marianne neugierig, bevor sie sich in die erste Reihe aufmachte.

„Wurde sie auch eingeladen? Sie soll ja, wie ich höre, noch sehr gesund und munter sein. Jetzt kann ich sie aber nicht entdecken. Neben deinem Otto hat sie nicht Platz genommen. Hat sie sich aus gesundheitlichen Gründen entschuldigt oder wurde sie nicht eingeladen, weil in Zeiten wie diesen wieder einmal auf die ersten Anstaltsärztinnen vergessen wird?”

Marianne Oberwallner sah Sarah Stössinger ein wenig herausfordernd an, die tatsächlich verlegen wurde und schnell den Kopf schüttelte.

„Ich fürchte, ich weiß es nicht. Übermorgen sind wir bei ihr eingeladen. Ich weiß aber nicht, ob sie heute kommt. Weißt du etwas darüber, Mama?”

Johanna Gerstinger schüttelte wieder den Kopf und sah ebenfalls etwas ratlos aus.

„Keine Ahnung, aber ich denke, ein solcher Festakt ist zu anstrengend für sie, obwohl sie, wie du schon sagtest, bewundernswert rüstig für ihr hohes Alter ist. Ich werde mich erkundigen, ob sie eingeladen wurde und dir das Ergebnis mitteilen, wenn wir uns am Montag bei der Sitzung in der psychoanalytischen Vereinigung treffen. Bist du damit einverstanden, Marianne? Und jetzt geh ruhig meinen Ex begrüßen. Ich habe nichts dagegen. Wir sehen uns beim Buffet und stoßen auf die hundertjährige Geschichte an!”, sagte sie launig und nahm neben der Tochter Platz.

„Grüß dich, Sarah!”, begrüßte sie sie noch einmal und drückte ihr einen flüchtigen Kuß auf die Stirn.

„Wie geht es dir? Du bist ja, im Gegensatz zu mir, mit diesem Haus zufrieden!”

Sarah lachte und zuckte mit den Schultern.

„Ach ja, Mama, wie man es nimmt. Über unsere Personalknappheit und Pflegenotstände kannst du in den Zeitungen lesen und ansonsten läßt es sich nicht leugnen, daß ich gern hier arbeite. Wir sind ja eine richtige Psychiaterinnendynastie, obwohl der Urgroßvater ein Mann gewesen ist und du nach deiner Facharztausbildung in die freie Praxis gegangen bist. Und wenn man es auch sicher besser machen könnte, ist es doch ein schönes Spital, das damals so großzügig in einer der besten Gegenden Wiens errichtet wurde. Auch wenn man jetzt darüber spricht, daß wir ausgegliedert und in dem Areal Hotel- und Wohnanlagen errichtet werden sollen. Aber das ist ein anderes Kapitel, also lassen wir es, da wir es ohnehin nicht ändern können. Der jetzige Gesundheitsstadtrat scheint schon zu seiner Eröffnungsrede anzusetzen und der Papa hat mich, wenn du es wissen möchtest, gefragt, wie es mir geht und mir alles Gute gewünscht!”

Johanna Gerstinger nickte, lehnte sich zurück und beobachtete die Freundin, die tatsächlich auf Otto Stössinger zugegangen war und ihm einen Kuß auf die Wange drückte.

Sie beobachtete auch den abwehrenden Blick der sicher um dreißig Jahre jüngeren Gattin, einer ehemaligen psychiatrischen Krankenschwester, dann atmete sie durch und versuchte, während der Spitalsdirektor das Podium erklomm, sich vorzustellen, wie der Großvater vor hundert Jahren ausgesehen hatte, der damals dreißigjährige Oberarzt Johann Gerstinger, der 1950, von der Psychiatrie entlassen, an Krebs verstorben war, der, wie sie von der Mutter wußte, während der Feier erfahren hatte, daß seine Tochter Klara auf die Welt gekommen war.

Johanna versuchte sich, den strengen Mann im weißen Ärztemantel mit der altmodischen Frisur und Barttracht, die er wohl getragen hatte, vorzustellen und überlegte, wie er sich gefühlt haben mochte, als ihm die freudige Nachricht übermittelt wurde. Mobiltelefone hatte es noch keine gegeben. Wahrscheinlich war eine der Krankenschwestern mit dem blaugestärkten Kleid und dem weißen Ordenshäubchen auf ihn zugekommen und hatte den Herrn Doktor mit ehrfurchtsvollem Blick und scheuen Lächeln zum Telefon geholt, das wahrscheinlich am Gang befestigt war oder sich in einem weitentfernten Büroraum befunden hatte, so daß sein Adrenalinspiegel angestiegen war und er sicher keuchte, als er es endlich erreichte.

Der Spitalsdirektor hatte die sehr geehrten Festgäste, den Herrn Stadtrat und den Bürgermeister feierlich begrüßt und wartete den Applaus der Gäste ab. Johannas Nasenflügel zitterten, sie atmete tief durch.

Die Mutter, die seit zwanzig Jahren in einer Seniorenresidenz wohnte und 1972 als Primaria in Pension gegangen war, war tatsächlich nicht gekommen. Aber sie war hier, die damals Stationsärztin gewesen war und mit Otto und Marianne die Gruppe der kritischen Mediziner begründet hatte, während Sarah in das Kinderkollektiv gegangen war. Der Großvater war gestorben und der Spitalsdirektor hob zu seiner feierlichen Rede an, in der er die Details erwähnte, die Marianne schon besprochen hatte, der Großvater und die Mutter kamen nicht darin vor.

Aber der Großvater war damals ein junger Oberarzt gewesen und die Mutter schon lang in Pension. Sarah war eine von den vielen Ärztinnen, die heute hier arbeiteten und sie hatte eine eher unbedeutende Rolle in der Spitalsgeschichte gespielt.

Johanna lehnte sich zurück und suchte nach dem Taschentuch, um sich die Nase zu putzen. Blöderweise begann die bei feierlichen Anläßen immer zu rinnen, obwohl sie nicht aufgeregt war und sich auch nicht festlich fühlte.

Da sie bald siebzig wurde, durfte sie sich diese Schwäche leisten und der Park, die Kirche und das Jugendstiltheater waren auch wirklich schön. Damals war man sicher stolz auf die modernen Gebäude gewesen, die vom ersten Architekten, den die Monarchie aufzuweisen hatte, in dem weitläufigen Areal errichtet worden war.

„Nur das Beste für die Kranken!”, hatte es Marianne genannt. Man war zuversichtlich gewesen und hatte keine Ahnung von dem, was folgen sollte. Jetzt wußte man es und war natürlich klüger und der Großvater war bestimmt aufgeregt gewesen, als er zum Telefon gerufen und ihm die Nachricht von der Geburt der kleinen Tochter übermittelt wurde, die ein Mädchen geworden war.

Zwei Reihen vor ihr saß ihr Ex, der ehemalige Gesundheitsstadtrat, der im Sommer 2000 in Pension gegangen war und die Mutter fehlte. Aber die Mutter ging nicht mehr viel aus dem Haus. Mit Hundert war ihr der Weg in die ehemalige Arbeitsstätte sicher zu beschwerlich und vor hundert Jahren war sie auch nicht da gewesen, sondern in den Windeln gelegen.

Auf die Bühne kam nun ein Knabenchor und sang ein feierliches Lied und Johanna warf einen Blick auf Sarah, die in ihrem weißen Ärztemantel streng und unnahbar wirkte.

Sarah, die genau wie ihre Mutter und die Großmutter hier ihre Facharztausbildung absolviert hatte, war eine gute Ärztin, eine Vollblutpsychiaterin aus Leidenschaft.

Nur sie war nach den Entdeckungen der Achtundsechzigerjahre in die psychoanalytische Praxis geflüchtet und Sarah hatte auch ihre Probleme.

Sie machte sich Sorgen um Naomi und hatte es mit Albert Krepinsky nicht leicht, obwohl sich der mehr um Naomi kümmerte, als es Otto bei Sarah getan hatte. Aber Otto war als Gesundheitsstadtrat und Leiter des psychosozialen Dienstes sehr eingespannt gewesen und bei ihr hatte es überhaupt keinen Vater gegeben.

Denn der hatte die Mutter schon verlassen, als sie noch nicht geboren war. Emil Führich hatte er geheißen. Aber auch die Mutter hatte ihren Mädchennamen nach der Scheidung wieder angenommen und der Großvater hatte die kleine Johanna sogar adoptiert, damit sie Gerstinger heißen konnte und das Bild, das auf der Kommode der Mutter stand und einen ernsten jungen Mann in einem weißen Ärztemantel zeigte, den die Mutter ihren Vater nannte, trug auf der Rückseite einen anderen Namen.

„In Liebe, dein Jakob!”, war darauf mit einer verblichenen Tinte geschrieben. Johanna hatte es gelesen, als das Bild vor ein paar Wochen auf den Boden gefallen und dem Rahmen entglitten war.

„In Liebe, dein Jakob!”

Ihr Vater hatte aber Emil Führich geheißen und die Mutter war nur kurz mit ihm verheiratet gewesen, weil er in Dresden die Leitung eines Sanatoriums übernommen hatte. Das verstand ein anderer. Aber die Mutter war schon alt und brachte vielleicht etwas durcheinander, obwohl sie eigentlich nicht vergeßlich war. Von Demenz und dem Alzheimer-Formenkreis keine Spur und das Bild hatte schon in der großväterlichen Villa auf dem Kaminsims gestanden, in der Johanna aufgewachsen war und auch da hatte die Mutter „Das ist dein Vater!” gesagt.

Da war es aber nicht aus dem Rahmen gefallen, so daß die kleine Hanni nicht nachgefragt hatte. Es war auch egal. Die Mutter konnte ihr Geheimnis haben. War sie doch so alt, wie die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt für Nerven und Geisteskranke, das heute Otto Wagner Krankenhaus hieß, als ob sich die unrühmliche Geschichte und der schlechten Ruf, der es verfolgte, dadurch vertuschen ließ.

Aber Sarah arbeitete mit Leidenschaft hier und setzte sich mit Elan für ihre Patienten ein und der Knabenchor hatte sein Schubertlied inzwischen beendet und der Bürgermeister begann mit seiner salbungsvollen Rede.

Vor hundert Jahren wurde die Mutter geboren, deren Geburtstag sie übermorgen feiern würden, mit Sekt und Schokoladetorte und das Bild von Emil Führich, der eigentlich Jakob hieß, würde auf der Kommode stehen und streng zu Tochter, Enkelin und Naomi blicken, während sich die ehemalige Krankenschwester zu Otto Stössinger beugte, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Vielleicht fand sie die Rede des Bürgermeisters langweilig oder wollte ihm mitteilen, daß seine Ex, die zwei Reihen hinter ihnen saß, alt und müde wirkte.

Sarah knetete ihre Fingerspitzen ineinander und wirkte auch etwas aufgeregt, während Johanna beinah daran war, ein wenig einzunicken, begann sich das Handy in ihrer Tasche zu rühren und einen dieser modernen Klingeltöne von sich zu geben. Was, wenn das in einem normalen Theatersaal geschähe, peinlich und unangemessen wäre. Alle Blicke würden unangenehm berührt zu ihr herübersehen und strenge Köpfe würden mahnend ausgeschüttelt.

In einem Krankenhaus war man das aber gewohnt und so schaute sie niemand böse an und Sarah rückte bereitwillig zur Seite, um sie hinauszulassen.

Johanna nannte ihren Namen und überlegte, ob das einer ihrer inzwischen schon sehr wenigen Patienten war, aber die pflegten in der Praxis anzurufen und ihre Nachrichten auf den Anrufbeantworter aufzusprechen. So atmete sie durch und war gespannt zu hören, wer etwas von ihr wollte?

Es war auch keiner der Patienten. Es meldete sich eine Ärztin aus der Seniorenresidenz, in der die Mutter ihre kleine Wohnung hatte.

„Es tut mir ja so leid, Frau Doktor!”, murmelte die Kollegin und schien sich unbehaglich zu fühlen.

„Ich hoffe, ich störe nicht in Ihren Sitzungen. Aber die Frau Primar ist heute nicht zum Frühstück erschienen und als wir nachgesehen haben, haben wir sie in ihrem Bett gefunden. Ein Schlaganfall! Es war nichts mehr zu machen. Es tut mir wirklich leid!”


Alfred Nagl
Last modified: 2009-06-04 22:01:00