Sophie Hungers Krisenwelt

Die freiberuflich arbeitende Lektorin Sophie Hunger sieht sich mit der Kündigung ihres Werkvertrags konfrontiert. Um nicht in depressiven Stillstand zu verfallen, beschließt sie, die Wirtschaftskrise in einer Art literarischen Winterschlaf zu verbringen und beginnt, alle Bücher zu lesen, für die sie bis dahin keine Zeit gefunden hatte. Wenn sie nicht gerade liest, geht sie spazieren und macht auf diesen Spaziergängen interessante Bekanntschaften.

Felix Baum ist ein Postbediensteter, der im Umschulungscenter seine Zeit versitzen muss, Hertha Werner, bereits in Pension, sorgt sich bis zur Erschöpfung um ihre aus den Fugen geratene Kleinfamilie. Was die Protagonisten in Eva Jancaks Buch zusammenführt, muss der Leser selbst herausfinden, denn vor dem Hintergrund der scheinbar allgegenwärtigen Wirtschaftskrise entspannt sich ein Kaleidoskop an Schicksalen und Begegnungen und leise, ganz leise auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Die Krise ist bewältigbar, das ist es, was uns dieses Buch sagen will. Das Leben auch.

Andrea Stift

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Ich war nach Hause gekommen und stellte meine Tasche ab. Die Jacke auf den Kleiderständer deponiert. In der Küche die Kaffeemaschine einschalten und die Tasse daneben gestellt. Vor allem aber wollte ich die kreisenden, sich überschlagenden Gedanken aus dem Kopf bekommen. Das war wichtig, jetzt sofort.

„Sie sollten etwas gegen Ihren Zustand tun! Tabletten nehmen oder eine eventuelle Psychotherapie beginnen!”, hatte mir der Mediator genannte Psychoonkel, den mein Chef angeheuert hat, um den Zukunftsplan seiner Mitarbeiter zu besprechen, vor ein paar Stunden großspurig versichert. Der Chef hatte gelächelt und war mit meinem Burn-out-Syndrom natürlich einverstanden. Während mir der Psychoonkel die Adresse eines befreundeten Psychiaters aufschrieb, den ich seiner Ansicht nach konsultieren sollte, um meine Lebensfreude wiederzufinden.

„Denn das ist wesentlich!”, hatte er mir zugerufen.

„Sich nicht unterkriegen lassen, sondern trotz Krise den Lebenssinn erkämpfen!”

Dann hatte mir der Chef, der seine Firma retten mußte, ein Formular hingehalten, dem zu entnehmen war, daß meine ohnehin nur unverbindliche Mitarbeit vorläufig beendet wäre, weil er angesichts meiner persönlichen, sowie der allgemeinen Wirtschaftskrise, meinen Werkvertrag leider nicht verlängern könne. Damit war ich nach Hause gegangen und da saß ich nun, die freiberufliche Lektorin, Sophie Hungers, für die der Chef wegen der schlechten Wirtschaftslage keine Verwendung hat.

„Wenn die Konjunktur besser wird, werde ich mich wieder melden!”, hat er mir noch großspurig versichert, als er mir die Hand drückte, um mich zu entlassen.

Nun saß ich in meiner kleinen Wohnung, hatte kein Burn-out, aber keinen Werkvertrag und auch keine Zukunftsaussicht. Zwar litt ich nicht wirklich Hunger, wie mein Name sagte, denn der Eiskasten war ziemlich vollgefüllt mit all den guten Sachen, die man zum Leben braucht und auch mein Konto hatte ich noch nicht zur Gänze überzogen. Dagegen fühlte ich mich aber, obwohl ich das nicht eingestehen würde, wirklich ein wenig ausgebrannt. Was angesichts der schlechten Wirtschaftslage und den Nachrichten, mit denen ich vom Morgen bis zum Abend über Radio und Zeitungen zugedröhnt wurde, kein wirkliches Wunder war. Und so hatte ich auf meinem Nachhauseweg beschlossen, mir ein bißchen Auszeit zu vergönnen, bevor ich mich auf den freien Markt der momentan so beliebten Job-Börsen werfen würde, um meine Talente den möglichen Auftragsgebern anzubieten, die sie angesichts der schlechten Wirtschaftslage ohnehin nicht brauchen konnten.

Da ich aber ein genügsamer Mensch bin, der auch mit wenig auskommen kann, wollte ich mir erlauben, die Wirtschaftskrise abzuwarten. Und als ich vor mein Bücherregal trat, fiel mir auch ein, wie das gehen könnte. Denn das, was ich brauchte, damit mir nicht langweilig wurde, befand sich hier. Hatte sich doch in der Zeit meiner Verlagstätigkeit sehr viel Ungelesenes auf den Brettern angesammelt.

„Das werde ich nun alles lesen!”, begann ich trotzig vor mich hinzudenken und beschloß in diesem Zustand, mich, solange die Krise, um mich herrschte, in einen Winterschlaf zu versetzen. Meine Körperfunktionen auf das Notwendigste beschränken und es mir, während es draußen lustig den Bach hinunterging, in meinen vier Wänden gemütlich zu machen. Ich werde mich, wenn der Psychoonkel schon ein Burn-out-Syndrom bei mir festgestellt haben will, einfach totstellen. Also im Diskontmarkt meine bescheidenen Einkäufe erledigen und die Eineinhalb-Zimmer-Wohnung, sowie das Bad und die Küche sauberhalten. Vielleicht auch, während ich mein Risotto oder meine selbstgemachte Pasta esse, das Radio aufdrehen, um mir mit HUAE, meines Lieblingsmoderators charismatischer Stimme, die Nachrichten von draußen mit all den Crashtests und Börsenabstürzen in mein Zimmer hereinzuholen. Denn ein bißchen Information sollte es schon sein, mußte ich doch wissen, wann die Krise vorüber ist und ich den Anruf meines Chefs erwarten darf. Aber dann werde ich das Radio abschalten und zu meinem Regal hinübergehen, um Seite für Seite in der Phantasiewelt der schönen Worte, die mir bisher Arbeit war, zu versinken, bevor ich mich, nach einem Glas Milch und einem Butterbrot, für einige Stunden in die Welt hinausbegebe, um für meine Gesundheit vorzusorgen. Meine Runden am Donaukanal werde ich drehen und mich auch in den Stadt- oder Rathauspark setzen, um Frischluft einzuatmen und Sonne abzubekommen. Damit ich nicht rachitisch werde, sondern trotz Sparprogramm fit und jederzeit einsatzbereit, wenn sich die Wirtschaftslage ändern sollte und der Chef mich holen wird, weil er wieder eine tüchtige Lektorin braucht.


Alfred Nagl