Kerstins Achterln

Kerstin Wieland ist eine erfolgreiche Fotografin, die manchmal ein Achterl Rotwein zuviel trinkt, außerdem gibt es Streit mit ihrem Freund Franz, so schmeißt sie ihn einmal nach einer feuchtfröhlichen Auseinandersetzung aus der Wohnung und ist am nächsten Morgen sehr erstaunt, daß er nicht mehr zu ihr zurückkehren will.

In weiterer Folge beginnt Kerstins Kampf, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, beziehungsweise neu zu ordnen und wieder tauchen neue Perspektiven und neue Freunde auf, an Hand derer sie sich langsam und bedächtig ins Leben zurücktasten kann.

Die Personen und die Handlung sind erfunden.

17

Vielleicht würde sie heute Mäxchen treffen, um bei der Regelmäßigkeit zu verbleiben. Sie hatte bei einer Hochzeit fotografiert und sich über das stupide Lächeln der Braut im weißen Kleid geärgert. Beziehungsweise hätte sie es beinah zum Heulen gebracht und solcherart lassen sich keine guten Fotos machen. Das brachte auch keine begnadete Künstlerin, die sie angeblich sein sollte, zusammen und sie war das auch nicht. Sie war ein Häufchen Elend in Jeans und einer blauen Bluse, weil sie die blaue Farbe liebte, die angeblich beruhigen sollte. Sah das stupide Lächeln der jungen Frau und hätte aufschreien können vor Wut und Trauer, weil es ihr nicht gut ging. Sie stand nicht mit Franz vorm Traualtar und hatte kein Brautkleid angezogen. Hielt keine Blumen in der Hand und hätte jetzt beinahe „Cheese!”, zu der blöden Braut gesagt, die Traudl Obermüller hieß oder Obermüller-Wallner, wie sie voll Stolz jedem, der es hören wollte, erzählte. Sie wollte es nicht hören und hätte sich, wenn es möglich gewesen wäre, die Ohren zugehalten. Bei der Hochzeitstafel war das nicht möglich. Die blonde blöde Braut im weißen Kleid und Schleier plapperte unentwegt vor sich hin. Kerstin hielt die Kamera in der Hand und schaffte ihre Fotos nicht, weil sie Depressionen hatte und Traudl Obermüller um ihr stupides Glück und ihren Moritz beneidete. Aber der war gar kein schöner Mann, sondern viel zu einfach für ihre komplizierte Künstlerseele und Franz hieß er ebenfalls nicht, sondern Wallner und sie war nicht in Form, auch wenn er etwas anderes behauptete und seine angetraute Traudl in ihrem stupiden Glück unentwegt vor sich hingrinste.

„Stoßen Sie mit uns auf unser junges Glück an!”, forderte Moritz Wallner völlig einfallslos und hielt ihr eine Sektflöte entgegen. Sekt Orange war kein tägliches Achterl und „Nein!” sagen, konnte sie dem glücklichen Bräutigam auch nicht wirklich. Bei einer Hochzeit gehört sich das.

„Einmal ist keinmal!”, dachte es in ihr, während sie an dem Sekt nippte und nicht sicher war, ob Tränen über ihre Wangen rannen.

„Ich wünsche Ihnen alles Gute!”, plapperte sie ebenfalls völlig einfallslos und stupide. Lächelte mit verheulten Augen in die der strahlenden Braut, die das in ihrem Glück nicht merkte und forderte sie auf, die Blumen hochzuheben. Aber die ließ sich von ihrem Moritz ebenfalls ein Sektglas reichen und grinste vor sich hin.

„Am besten lächelst du mit deinen Augen!”, hatte sie zu dem kleinen Hektor gesagt, als der ihr in seinem Übermut die Zunge herausstreckte und die Fotos waren gut geworden. Traudl Obermüller grinste unentwegt. Der begabten Fotografin zitterte die Hand und sie fluchte vor sich hin. Zum Glück bemerkten die Beiden nichts davon. Nur sie wußte es und schüttelte über sich den Kopf. Wenn es dem Esel zu gut geht, soll er nicht auf dem Eis tanzen und die Fotografin soll nicht auf einer Hochzeit fotografieren, wenn sie sich beschissen fühlt. Genauso war es. Auch wenn ihr das Laufen durch den Stadtpark und die Begegnung mit dem kleinen Hektor gut getan hatte. Sie hatte Mäxchen vor dem Würstelstand zugewunken. War nicht stehengeblieben, sondern entschlossen weitergegangen, hatte sich zu Hause ihre Milch gemixt und solange Schäfchen gezählt, bis Barbara angerufen und sie an die Hochzeit erinnert hatte. Da hatte sie schon gewußt, daß es schiefgehen würde, weil sie nicht in Stimmung war oder nein, natürlich nicht! So einfach war es nicht gewesen. Sie war brav aufgestanden, hatte sich Kaffee gekocht, ein Butterbrot mit der guten Hellinger-Marmelade dick bestrichen, das Telefonbuch herausgeholt und nach allen österreichischen Entziehungsanstalten gesucht.

„Entschuldigen Sie, kann ich mit Herrn Aquony sprechen?”, hatte sie sich blöd gestellt. Jede einzelne Telefonistin hatte ihr versichert, keinen solchen Patienten zu haben und sie hatte sich immer elender gefühlt. Um zwölf mußte sie im Stephansdom sein, um Traudl Obermüller und Moritz Wallner zu fotografieren und sie war voller Selbstmitleid hingegangen, so daß die Kamera sehr oft gewackelt hatte. Die Beiden hatten nichts gemerkt. Die Hochzeitsgäste strahlten und Traudl Obermüller hatte blöd gegrinst, als sie ihren Moritz den Ring über den Finger gezogen hatte.

„Ich will!”, hatte sie dem Pfarrer und der Gemeinde genauso blöd versprochen.

„In guten und in schlechten Zeiten, natürlich, selbstverständlich, keine Frage!”

Die Kamera hatte wieder gewackelt und Kerstin hätte am liebsten losgeheult. Trug sie doch keinen Ring am Finger. Franz hielt sich vor ihr versteckt und Barbara hatte ihr einen kreativen Arbeitstag gewünscht. Dabei tat sie der Freundin sicher Unrecht. Das wußte sie schon, daß die es gut mit ihr meinte und sie würde ihr auch von den vergeblichen Telefonaten erzählen. Wenn es dem Esel zu geht, soll er nicht am Eise tanzen und wenn es die Fotografin nicht zusammenbringt, darf sie nicht in einer Kirche fotografieren. Aber die hatten sie ohnehin schon verlassen. Jetzt ging es an die Hochzeitstafel. Sie hatte eine Leberknödelsuppe gegessen und sich zum Braten Mineralwasser bestellt. Natürlich, selbstverständlich! Blöd war nur, daß sich dieses fröhlich mit den Mineralien ihrer Tränen mischte und jetzt hatte sie Moritz und Traudl zugeprostet und vom Sekt nippen müssen.

„Einmal ist keinmal!”, dabei gedacht. Das Glas schnell weggestellt und sich verkniffen „Cheese!”, zu der fröhlich grinsenden Braut zu sagen. Stattdessen probierte sie den Satz mit den lächelnden Augen. Traudl Obermüller glotzte blöd und hatte nichts begriffen. Ihr Moritz aber schon, zumindest tat er so. Nahm er doch die Braut in den Arm, drückte einen Kuß auf ihre Wange und Kerstin fixierte tapfer das Blumensträußchen in Traudls Hand. So würde es vielleicht klappen und sie würde anschließend auf die Toilette flüchten. Denn der Braten und die Leberknödelsuppe hatten ihr nicht geschmeckt. Dabei wollte sie gar kein weißes Brautkleid tragen und auch keinen Ring am Finger. Keine ehelichen Bande sollten ihre künstlerische Freiheit behindern. Nur Franz hätte sie gern gefunden, obwohl sie diese Nacht statt von ihm vom frechen kleinen Hektor, der alles zu wissen schien, geträumt hatte.

„Du bist eine starke Frau!”, hatte er im Traum gerufen und sie atmete durch und entspannte sich. So würde es gehen und sie war eine gute Fotografin, auch wenn sie vorhin Sekt genippt hatte. Das gehörte dazu mit den glücklichen Bräuten anzustoßen und die durften das auch sein, ohne daß die Fotografin neidig wurde. Daß jede zweite Ehe geschieden wurde, wußte sie sowieso. Auch Traudl Obermüller und Moritz Wallner würden das vielleicht wissen. Das brauchte sie ihnen nicht zu sagen und der Brautstrauß war sehr ästhetisch. Also würde sie sich auf ihn konzentrieren und das Lächeln der glückseligen Braut ignorieren. Die durfte das, weil sie ein dummes Gänschen war. Sie war auch viel jünger, hatte nicht so viel Lebenserfahrung und wahrscheinlich nie von einem steifen Ferdl einen Schock bekommen.

„Stop, halt!”, die bösen Gedanken weggedrängt und sich auf den Blumenstrauß konzentriert. Es würde trotzdem ein gutes Foto werden und der glückliche Bräutigam lächelte auch ein bißchen weniger blöd.

„Sehr gut!”, gesagt, sich von dem glücklichen Brautpaar und der fröhlichen Hochzeitsgesellschaft so schnell wie möglich verabschieden. Mit der schweren Kamera würde sie nicht durch den Stadtpark laufen. Das ging sich nicht aus. Hans Richter und Hektor Hellinger würden es verstehen. Traudl Obermüller schüttelte ihr die Hand, versicherte ihr, wie sehr sie sich freue und sie sicher war, daß die Fotos gelungen waren. Hatte die dumme Gans eine Ahnung? Konnte aber nichts für Kerstins schlechte Stimmung. Durchatmen und nochmals „Ich wünsche alles Glück!”, stammeln. Jetzt würde sie zum Würstelstand fahren und nach Mäxchen suchen. Wenn sie ihn dort stehen sah, würde sie ihn auf eine Käsekrainer einladen und ihr tägliches Achterl im Stifterl mit ihm trinken. Denn einmal ist keinmal und das Glas Sekt zählte nicht. Das gehörte zu ihrem Arbeitsauftrag mit dem glücklichen Brautpaar anzustoßen und hatte ihr ohnehin nicht geschmeckt.


Alfred Nagl