Miranda Schutzengelchen

Als die zwanzigjährige Miranda Himmelbauer ihren ersten Joint versucht, gerät sie in einen Alptraum, der sie in den dritten Weltkrieg, bzw. in den ersten, in dem ihre Ururgroßmutter Magdalena eine Frühgeburt erlitt, nach dem sie vom Heldentod ihres Gatten erfuhr, führt.

Dann gibt es noch eine ukrainische Studentin, die den Flugzeugabsturz bei Donezk hautnah miterlebte und eine Sozialarbeiterin, die von zwei Müttern bzw. einem Samenspendenvater aufgezogen wurde, gibt es auch.

Miranda Schutzengelchen

15.

Am Schluß hatte es einen Kampf um die Schwedenbomben gegeben, die die weißbeschürzten jungen Mädchen auf die weißgedeckten Tische gestellt hatten. Auf jeden eine Packung und als Bruno Leitner danach greifen wollte, hatte ihm die Frau mit dem grünen Kleid und der Perlenkette die Schachtel weggezogen und „Die ist für uns!”, gekreischt, ihrem Partner eine solche in den Mund gesteckt, sich auch eine genommen und den Rest in ihrer Handtasche verschwinden lassen.

„Aber gnädige Frau!”, hatte Bruno mit amüsierten Lächeln eingeworfen.

„Ist das ein Akt der Solidarität? Ich dachte doch das Teilen gehöre zu den bürgerlichen Werten, die die Frau Direktor am Anfang Ihrer Rede so betonte und sicher hat die junge Dame die Schachtel für uns alle auf den Tisch gestellt. Ich bin auch ein Gast dieses Festes, wie Sie!”, sagte er und hob den Arm, auf dem das grüne Identitätsbändchen zu sehen war.

„Hätte also Anspruch auf zwei Stück. Auf ein schwarzes und ein weiß beflecktes Bömbchen. Verzichte aber gern, wenn Sie mehr haben wollen, sich um Ihr Gewicht keine Sorgen machen und auch bezüglich eines erhöhten Cholesterinspiegels nichts befürchten! Denn wissen Sie, ich habe heute schon zwei Stück Sachertorte gegessen, da eine liebe Freundin von mir Geburtstag hatte und da war man gastfreundlicher und hat die Torte offen am Tisch stehen lassen und mein Töchterlein war auch so freundlich mir ein besonders großes Stück abzuschneiden und auf den Teller zu legen.

„Dann haben Sie schon bekommen und können Ruhe geben!”, murrte die Grünbekleidete und sah ihn nach wie vor unfreundlich an. Er antwortete „Selbstverständlich, gnädige Frau! Ich habe auch nicht angefangen und hätte die Schwedenbomben mit Ihnen geteilt. Zwei für Sie, zwei für Ihren Gatten und zwei für mich, so hätte ich gedacht, geht die Rechnung, aber wenn Sie sich Sorgen um meinen Cholesterinspiegel machen, soll das auch in Ordnung sein, denn das Spanferkel war sehr sättigend!”

„Und da haben Sie Ihre Portion gehabt!”, sagte sie mit einem giftigen Blick auf ihn und er nickte noch einmal und verabschiedete sich. In der Nacht hatte er schlecht geschlafen, das zu schnell und zu hastig hinuntergeschlungene Fleisch war ihm nicht sehr gut bekommen, so daß er der grünbekleideten Dame eigentlich dankbar sein sollte, daß ihm am Verzehr von zwei weiteren Kalorienbomben gehindert hatte. In Wahrheit hatte er sich geärgert. Da er aber am Morgen mit Kopfschmerzen erwachte, sah er die Sache etwas anders.

„Da hast du gestern ein bißchen zu viel gevöllert, lieber Bruno!”, sagte er zu sich und solltest mehr auf deine Gesundheit achten, denn du bist nicht mehr der jüngste! Du bist schon fünfundsechzig Jahre alt und zwei Stück Sachertorte, zwei Würste und zwei hastig hinuntergeschlungene Spanferkelstücke sind vielleicht zu viel, wenn man das üppige Speisen nicht mehr gewohnt ist. Da hat dich deine Tischgenossin vor etwas Ärgerem bewahrt, obwohl du ihr, wenn du ehrlich bist, gestern alles Böse gewünscht hast! Da bist du in Gedanken sehr unfreundlich gewesen und solltest mehr auf deine Gesundheit achten! Hast du doch ehrgeizige Wünsche und noch viel vor! Denn du hast gestern Nachmittag der lieben Dora und der lieben Lonny, als du mit ihnen angestoßen hast, deine geheimen Sehnsüchte verraten. „Auf ein langes Leben!”, hast du Dora gewünscht und dein Glas an das ihre klingen lassen. „Auf hundert Jahre, wenn du das so willst!”

Sie hatte lachend den Kopf geschüttelt und „So ehrgeizig bin ich nicht, Bruno, willst du das werden?”, gefragt und er hatte keine Sekunde mit der Antwort gezögert, sondern, wie aus der Pistole geschossen „Da bin ich auch bescheidener und möchte vierundachtzig werden! Denn der 13. 3. 2033 ist mein Todestag!”

Leonie hatte ihn erstaunt angesehen und von ihm wissen wollen, wie er darauf käme?

„Hast du dir ein Horoskop erstellen lassen?”, hatte sie gefragt und er hatte geantwortet „Das nicht, denn du weißt, daß ich sehr sparsam bin. Aber du hast schon recht, ich bin nicht nur ein Lebens-, sondern auch ein Zahlenkünstler und der 13. 3. 2033 ist ein Tag mit einer besonders schönen Ziffernkombination. An einem solchen Tag möchte ich sterben, bin ich ja ein vom Schönen begeisterter Mensch. Darauf will ich hinarbeiten und wenn ihr möchtet, liebe Dora, liebe Lonny, will ich euch auch diesen Tag schmackhaft machen! Ich dachte nur, hundert ist eine schöne Zahl, die man einer Dame zum Geburtstag wünschen kann! Aber wenn ihr wollt, könnten wir drei am selben Tag sterben, das wäre doch eine gute Idee, nicht wahr?”

„Ich glaube, du bist ein bißchen verrückt!”, hatte Leonie geantwortet, noch einmal sein Glas gefüllt und das Töchterlein hatte ein weiteres Stück Sachertorte auf seinen Teller gelegt.

„Ich arbeite darauf hin!”, hatte er geantwortet, auch mit Valentina angestoßen und sich für die Torte bedankt. Es war auch das, war er anstrebte. Er wollte sein Leben am 13. 3. 2033 beenden und es sich bis dahin gut gehen lassen. Das hatte er sich schon lange vorgenommen. Aber jetzt wachte er auf und es brummte ihm der Kopf, weil er sich gestern mit zwei Würsteln, zwei Stück Spanferkel und zwei Portionen Sachertorte überfressen hatte und wenn ihm der grüngekleidete Geizhals mit der Perlenkette die Schwedenbomben nicht weggezogen hätte, hätte er auch zwei Stücke davon verzehrt und sein Magen würde noch mehr drücken. „Also vielen Dank, gnädige Frau, für Ihre Sorgfalt, die ich gestern gar nicht als eine solche empfunden habe! Gestern habe ich gedacht, Sie sind nur gierig und benehmen sich schlecht! Heute sehe ich das anders und verspreche Ihnen, daß ich am Abend in der Industriellenvereinigung vernünftiger sein und meine Brötchen langsamer essen werde! Und jetzt werde ich schauen, ob sich im Küchenkasten noch ein Kamillenteepäckchen befindet, um den verdorbenen Magen wieder in Schwung zu bringen. Zwei Stück Sachertorte, zwei Würstel und zwei Stück vom Spanferkel gehören sich nicht und das sich gierig am Buffet drängen war vielleicht auch ungehörig, aber was soll ein Lebenskünstler machen?”, dachte er schon wieder verschmitzt und hatte den Tee gefunden. Ein Päckchen befand sich noch in der Wohnung, da konnte nichts passieren. Er konnte seinen Magen auskurieren und da sich auch zwei Stück Zwieback in einem Säckchen befanden, war wirklich alles bestes und dem 13. 3. 2033 als Todestag stand nichts im Weg. Danach würde er sich umbringen, hatte er sich vorgenommen, wenn er es auch Dora, Lonny und dem Leihtöchterlein nicht verraten hatte. Die mußten nicht alles wissen und würden es sich vielleicht ohnehin denken. Valentina bestimmt, die hatte er in Verdacht, daß sie seine geheimen Wünsche genau durchschaute. Bei Dora und bei Lonny war er nicht so sicher und jetzt würde er am Küchentisch Platz nehmen, den Tee in langsamen Schlucken sorgfältig hinunterschlürfen und dabei überlegen, wie er den Tag verbringen wollte? Um neunzehn Uhr war der Vortrag in der Industriellenkammer. Bis dahin war noch viel Zeit und da sah er auch das unglückselige Doppelbuch auf der Anrichte liegen. Das würde er umtauschen und für Lonny ein solches aussuchen. Also stand eine Bücherkastentour am Programm. Danach würde er sich in der Hauptbücherei in einen der schönen roten Polstersessel setzen und eine Runde Zeitung lesen. Später spazieren gehen und sich auf den Vortrag und die Brötchen freuen. Und da man ihm da vielleicht kein grünes Band um den Arm wickeln würde, würde er auch nicht so gierig sein.

„Versprochen!”, dachte er und sah mit einem Lächeln auf seine Hand hinab, auf der immer noch das grüne Bändchen hing. Das brauchte er nicht mehr. Das Spanferkel war gegessen, die Schwedenbomben von der grün Bekleideten konfisziert worden und würden von ihr und von ihrem Gatten vielleicht zum Frühstück verzehrt werden. Wenn das so war, wollte er ihnen kein Magendrücken und keinen Migräneanfall wünschen, die bei ihm schon fast vorüber waren. Den Tee langsam in kleinen Schlucken schlürfen, dann ins Badezimmer hinübergehen, sich waschen, anziehen und die Zähne putzen. Das grüne Band würde er in den Mistkübel werfen. Das brauchte er nicht mehr, dachte er nochmals und beugte sich vor, um es mit Schwung von seiner Hand hinunterzureißen und in die Ecke zu schleudern, wo sich der Abfallkübel befand.