Anselma will Sozialarbeiterin werden, hat aber in Zeiten wie diesen, die Aufnahme in die Fachhochschule nicht geschafft und jobt stattdessen, als geringfügig Beschäftigte in einem Meinungsforschungsinstitut, während ihr Nachbar Kasimierz im Priesterseminar von P. in Kinderpornografieverdacht geriet, vor dem er sich nicht erwehren konnte und der ihn aus den sozialen Bahnen wirft. Hyronimo hat dagegen sein Jus- und Wirtschaftsstudium gerade abgeschlossen und beginnt sich als Pressesprecher des Wirtschaftsstaatssekretärs zu profilieren.

Sie alle haben ihre Träume, Erfahrungen und Beziehungen zu Odessa. Kasimierz Großmutter ist dort in einer Psychiatrie gestorben, Hyronimo soll seinen Chef zu einer Wirtschaftskonferenz begleiten, während Anselma eine sogenannte Gratisreise in die Stadt am schwarzen Meer gewinnt, die sie antritt, um für Kasimierz Familenforschung zu betreiben.

9.

Kasimierz

Es schien nichts genützt zu haben, daß Kasimierz die Liste der alten Frau Fink fast gegen sein Gewissen unterschrieben hatte. Gar nichts hatte es das oder hatte es eine Zweite gegeben, die an ihm vorbeigegangen war? Es mußte wohl so sein, denn in dem Brief der Hausverwaltung, den er gestern vorgefunden hatte, war es nicht um den Einbau einer Gegensprechanlage gegangen. Nicht nur, denn davon hatte auch etwas gestanden. Aufgeregt hatte ihn aber das andere, daß Frau Fink und die übrigen Hausbewohner sich über ihn beschwert hätten, hatte ihm die Hausverwaltung mit hochachtungsvollen Grüßen zur Kenntnis gebracht. Anselmas Name war zwar nicht dabei gestanden. Natürlich nicht, war sie ja eine freundliche Person mit sozialen Ambitionen. Aber die restlichen hatten unterschrieben und was würde sein, wenn er nach dem Job auch die Wohnung verlor? Dann wäre er wegen eines unsinnigen Traumes vollends aus der Bahn geworfen worden und würde wirklich nach Polen zurückkehren müssen. Das konnte doch nicht sein und er wollte es auch nicht. Was sollte er aber tun? Was hatte er für eine Chance sich zur Wehr zu setzen? Nichts fiel ihm ein, als den geplanten Ausflug nach Kremsmünster wirklich durchzuführen. Wie gut, daß er sich schon vor einer Woche zu der Fahrt angemeldet hatte, zu der ihn die katholische Aktion, in deren Adressenregister er sich immer noch befand, eingeladen hatte.

„Kommt Zeit, kommt Rat!”, pflegte man zu sagen und dann gab es noch den Stammbuchvers, den die Großmütter den Enkeltöchtern bevorzugt ins Album schrieben, der von dem Lichtlein das angeblich leuchten würde, wenn man ein solches nötig hatte. Und obwohl er fromm und gläubig war und wirklich und wahrhaftig dem lieben Gott vertraute, war er trotzdem nicht naiv genug, dem schönen Spruch zu glauben, nicht mehr. Die Ereignisse des letzten Jahres, die sich beinahe sintflutartig über ihn ergossen hatten, hatten ihn zu pessimistisch dazu gemacht. Trotzdem zog er nun die Jacke an und stieg aus dem Bus, um den Hausfrauen, die sich hauptsächlich zu der Fahrt angemeldet hatten, zum Stiftseingang zu folgen. Theologiestudenten oder ehemalige Seminaristen hatte er keine im Bus getroffen. Er war eben anders, damit hatte er sich schon abgefunden und er war an der Besichtigung des berühmten Stiftes auch sehr interessiert. Deshalb stellte er sich hinter den emsig plaudernden Frauen an der Kasse an und folgte ihnen in die Bibliothek, die im Gegensatz zu dem Autobus, der fast leer gewesen war, von zahlreichen Besuchern überging. Die Hausfrauen schwatzten eifrig. Er wollte aber alleine sein und in sich kehren, so hatte er es sich vorgestellt. Das schien aber unmöglich, da in der Stiftsbibliothek eine Führung stattfand und eine kräftige Frauenstimme lautstark den Saal durchdrang. Kasimierz wollte einen Schritt zurücktreten, um sich in seinen Gedankengängen nicht stören zu lassen, als er sie von den Aposteln Paulus und Petrus sprechen hörte, die im alten Testament dargestellt wären.

„Da stimmt doch etwas nicht!”, durchfuhr es ihn. War er in einen falschen Film geraten oder geriet ihm auch das schon durcheinander? Aber die Führerin, Sigrid Morald, konnte er auf ihrem Namensschildchen lesen, würde ihre Schäfchen doch nicht in voller Absicht in die Irre leiten. Vertraute er auf ihre gute Schulung, also hatte er sich sicherlich verhört und falsch verstanden. Was ja auch kein Wunder war, war er viel mehr auf seine eigene Problematik, als auf die prachtvolle Bibliothek konzentriert. Wenn er aber schon hergekommen war, wollte er das schon aus Respekt vor dem heiligen Benedikt, den er sehr verehrte, ändern und wenigstens versuchen sich zu sammeln, dachte er reumütig und hörte, als nächstes eine empörte Männerstimme.

„Das Neue, Sie meinen das neue Testament!”, unterbrach sie die Führerin und Kasimierz fühlte sich bestätigt. Also hatte er sich doch nicht verhört, den anderen war es nicht aufgefallen. Die Hausfrauen, die mit ihm im Bus gefahren waren, hatten nicht zugehört und zogen vor, sich über ihre Kinder und Familienprobleme zu unterhalten. Die Männerstimme aber klang empört und Sigrid Morald zuckte auch zusammen und wollte ihren Irrtum nicht glauben. Sie schien zwar darauf geschult freundlich zu ihren Gruppen zu sein, reagierte auf die Unterbrechung aber ärgerlich und schüttelte den Kopf.

„Nein, nein, das Alte!”, wiederholte sie beharrlich.

„Im alten Testament sind die Apostel Peter und Paul dargestellt!”, wiederholte sie das, was sie offensichtlich schon seit Jahren ihre Gruppen lehrte und wollte sich davon nicht abbringen lassen, jetzt mischte sich aber ein anderes Gruppenmitglied ein und beharrte ebenfalls auf ihrem Fehler.

„Meinen Sie wirklich?”, stammelte die Führerin und wirkte so betroffen, daß Kasimierz sie schon beruhigen wollte, als das eine Frau der Gruppe tat. Eine Frau, die mit ihrer Hornbrille sehr gelehrt wirkte, offensichtlich aber auch harmoniebedürftig war, denn sie trat auf Sigrid Morald zu, berührte ihren Arm und sagte: „Lassen Sie sich nicht verwirren!”, beruhigend zu ihr, was diese aber mißzuverstehen schien und plötzlich sehr erleichtert wirkte.

„Nein, nein!”, rief sie aus.

„Sie haben recht, da passe ich schon auf, das kann mir nicht passieren. Da habe ich auch neulich einen Herrn in der Gruppe gehabt, der alles besser wußte und behauptete ein Buch über den heiligen Benedikt zu schreiben, dabei war es, wie sich herausstellte, nur ein Kinderbuch. Die Apostel Peter und Paulus stehen also im alten Testament!”

„Im Neuen” widersprachen die beiden Herren und die Frau mit der Brille schlug der sich erneut wehrenden Frau versöhnlich vor, sich doch am Sonntag beim Herrn Pfarrer danach zu erkundigen. Möglicherweise war sie Psychologin und erfahren in der Mediation. Kasimierz beschloß nun doch stehenzubleiben und die Gruppe an sich vorbeizulassen, weil er ja sowohl für sein Problem eine Lösung finden, als auch die berühmte Stiftsbibliothek besichtigen wollte und ihn das Kommunikationsproblem zwischen der Gruppe und der verwirrten Führerin nicht wirklich anging. Also sich wieder den Hausfrauen zuwenden, die von dem Streitgespräch nichts mitbekommen hatten, weil sie sich immer noch mit sich beschäftigten. Kasimierz vertiefte sich in den Anblick der wunderbaren Deckenfresken, die konnten einen schon zu innerer Ruhe und Einkehr bringen, wenn ihm nur nicht Sigrid Moralds laute Stimme immer wieder herausreißen würde, die ihrer aufmüpfigen Runde inzwischen den Geheimgang gezeigt hatte, aber nicht zur Ruhe kam und schon wieder zu ihrem Irrtum bezüglich Peter und Paulus zurückkehrte. Sie schien ihren Fehler inzwischen bemerkt zu haben und er war ihr unangenehm, denn: „Mein Gott!”, hörte er sie zu der Gruppe sagen: „Was müssen Sie nur von mir denken, daß mir das passieren konnte, das ist mir direkt unangenehm!”

„Vergessen Sie es!”, riet die Frau mit der Brille, aber die Führerin sprach weiter und kam immer wieder auf ihre Fehlleistung zurück, auch wenn sie zwischendurch mit der Führung weitermachte und die eine und die andere Anekdote zu berichten wußte.

Kasimierz war wieder nähergekommen, versuchte zuzuhören, denn es interessierte ihn ja von der Bibliothek zu erfahren, aber die Führerin kam schon wieder auf ihren Fehler zurück. So oft, so viel und so häufig schien sie das zu tun, daß die Mediatorin meinte, ihr erklären zu müssen, daß es sich bei der Gruppe, um die Professorenschaft des Schottengymnasiums handelte.

„O mei, so peinlich, am Ende befindet sich auch der Religionslehrer dabei!”, stammelte Sigrid Morald, dann holte sie tief Luft und begann von einer Lehrergruppe zu berichten, die sie vorige Woche herumgeführt hatte, die aber unachtsamer als jede andere Gruppe gewesen wäre, sagte sie, lachte und schien etwas entspannter, als sie die Gruppe aufforderte mitzukommen, weil sie ihr als Entschädigung etwas besonders Interessantes zeigen wollte.

„Die hat es getroffen!”, hörte Kasimierz einen der korrigierenden Lehrer zu dem anderen sagen.

”Und die Margit mit ihrem Konfliktlösungsseminar verwirrte sie noch mehr. Aber warum scheint sich das Stift keine besseren Führer leisten zu wollen? Das ist sicher eine frustrierte Hausfrau mit einer Kurzeinschulung, die billiger kommt, als wenn sie einen Historiker engagieren. Du siehst die new economy ist schon hinter die Stiftsmauern eingezogen!”

„Offenbar ist außer uns noch niemanden aufgefallen, daß die gute Frau Unsinn schwatzt und wenn sich keiner beschwert, hat die Stiftsverwaltung keine Veranlassung es zu ändern”, antwortete der andere und verließ den Saal. Er schien genug zu haben. Kasimierz blieb aber wieder stehen, hatte er doch jetzt ein ruhiges Eckchen für seine Meditationen gefunden, denn auch die Hausfrauen waren schon verschwunden. Wahrscheinlich wollten sie noch Kaffee trinken, bevor der Bus weiterfuhr. Aber er wollte die halbe Stunde, die ihm verblieb zum Gebet benützen und da auch Sigrid Morald mit einer neuerlichen Geschichte die Gruppe aus der Bibliothek geführt hatte, schien das nun möglich.


Alfred Nagl
Last modified: Mon Feb 19 18:17:09 CET 2007