Paul und Paula

Paul Schneider hat mit Paula Billinger in Linz vor zwanzig Jahren dasselbe Gymnasium besucht.

Dann ist er nach Wien gegangen, hat Informatik studiert und begonnen, in seiner Freizeit als „Fräulein Paula” im roten Seidenkleid und Stöckelschuhen im „Maribou” Schlager von Zarah Leander und Edith Piaf zu singen, wo er eines Tages Paula als Paul wieder trifft.

Die Handlung und die Personen der vorliegenden Erzählung sind erfunden. Etwaige doch bestehende Ähnlichkeiten sind Zufall, beziehungsweise der Thematik geschuldet.

Paul und Paula

1.

Pauls Hände zitterten, als er zu dem roten Seidenkleid griff und es über seinen schlanken Körper zog. Es war Freitag, Feierabend, Zeit für ihn in sein anderes Leben zu schlüpfen. Montag bis Freitag Informatiker in einer angesehenen EDV--Firma mit zurückgebundenen Haaren, Jeans und schwarzem Rollkragenpulli, wie ihn die Künstler trugen und, die er dann zur Seite warf. Denn dann konnte er seiner wahren Bestimmung fröh\-nen. Konnte sich das rote Seidenkleid überwerfen, in schwarze High Heels schlüpfen und seine langen blonden Haare auftoupieren. Für ein Wochenende zur „Paula” werden und seinem wahren Ich freien Lauf lassen. Im roten Seidenkleid und stark geschminkten Lippen im „Maribou” aufkreuzen.

„Wenn es passte!”, dachte er, als er den Schal um seine Schultern schwang und mit einem besonders femininen Hüftschwung die Wohnung verließ. Das tat es und Nachbarn hatten ihn nicht gesehen. Waren es aber schon gewohnt, daß sich Paul Schneider am Freitag in eine „Paula” verwandelte und im „Maribou”, das er regelmäßig frequentierte, war er als solche auch bekannt. So war das kein Problem, als er eine halbe Stunde später das Szenelokal betrat und sich suchend umblickte. Er fühlte sich gut in seinem roten Seidenkleid, den schwarzen Strümpfen und den hohen Stöckelschuhen und so schritt er auch selbstbewußt auf die Theke zu und zuckte erst zusammen, als er dort eine schlanke Gestalt, die die kurzen Haare unter einer karierten Schirmmütze verbarg, sitzen sah, die ihn erstaunt anstarrte.

„Hallo, Paula!”, sagte er dann zögernd.

„Kennst du mich noch? Ich glaube, wir sind gemeinsam in Linz zur Schule gegangen und haben dort die Matura gemacht?”

„Paulchen Schneider?”, fragte sie auf sein rotes Seidenkleid und die auftoupierten blonden Locken starrend, zurück.

„Hast du dich verändert?”, sagte sie dann herausfordernd und blickte ihn voll Neugier an. Was antwortet man als Mann darauf, der sich, wie man in den Internetseiten zur Transgenderproblematik nachlesen kann, im falschen Körper steckt? Der seit Jahren versucht in der Freizeit seine weibliche Identität auszuleben, weil er sich auf komplizierte Hormonbehandlungen und Operationen nicht wirklich einlassen will? Was sagt man vor allem einer Frau darauf, die statt auftoupierten blonden Locken und starker Schminke, ihre kurzen Haare hinter einer burschikosen Kappe versteckte und wenn er sich nicht irrte, ein Herrenhemd über einer beigen Cordhose trug? Das hatte Paula, wie er sich erinnern konnte, auch in der Schule getan und über die Blusen, die er manchmal seiner Schwester stibizte, abfällig die Nase gerümpft, weil sie ihn wahrscheinlich für einen Schwächling hielt? Sie sah auch jetzt nicht aus, als ob sie an seinen High Heels und seinem Kleidchen großen Gefallen fand.

„Nicht wirklich, für die letzten Schritte bin ich wahrscheinlich zu feig! So begnüge ich mich, mich in in meiner Freizeit als Frau zu inszenieren! Und du?”, fragte er zurück sich überlegend, was die ehemalige Schulkollegin in dem Szenelokal zu suchend hatte und sah sie etwas anzüglich an, die, wenn er sich nicht irrte, ein wenig rot geworden war oder zumindest verlegen. Dann zuckte sie die Achseln und begann zu pfeifen.

„Wie soll ich dir erklären, Paulchen, daß aus der Paula ein Paul geworden ist? Eigentlich brauche ich das dem Paul im roten Seidenkleid gar nicht, wenn du es aber hören willst! Da bin ich mutiger als du und war mit dem geisteswissenschaftlichen Studium, in das mich meine Mutter drängte, unzufrieden! Habe mich geärgert, daß ich mich verleiten ließ, Kunstgeschichte zu studieren und danach in einer Galerie als sogenanntes „Mädchen für alles” tätig war, dem immer wieder gesagt wurde „Du schaust so männlich aus! Bei uns solltest du weiblicher sein! Interessierst du dich nicht für schöne Kleider? Das habe ich nicht mehr hören wollen! So habe ich gekündigt und mein Leben umstruktiert! Und, wie läuft das bei dir? Du hattest, wie ich mich erinnern kann, keine Schwierigkeiten, als du Informatik studieren wolltest und zu deiner Identität scheinst du auch zu stehen? Auf jeden Fall schaust du nicht unglücklich aus!”

„Nun ja!”, antwortete er und nahm auf einem der Barhocker Platz.

„Informatiker bin ich geworden! Das ist immer noch mein Brotberuf und das „Fräulein Paula” eine Kunstfigur, die ich zum Leidwesen meiner Eltern, meiner Schwester und meinem jüngeren Bruder am Wochenende auslebe! Der Beruf passt, auch wenn ich mir in meiner Jugend vorstellen hätte können, Sängerin zu werden! War ich doch bis zum Stimmbruch, der eigentlich nicht oder nur sehr spät erfolgte, Sängerknabe!”, sagte er. Dann gab er sich einen Ruck, drehte, wie er dachte, betont weiblich, an seiner falschen Perlenkette und lächelte sie an.

„Toll, daß wir uns wiedersehen und du mein Stammlokal, in dem ich auch gelegentlich singe, besuchst!”