Seitengewitter

Im Corona-Herbst 2021 trifft die literarische Übersetzerin Alberta Wassermann, nach dem sie sich über die scharfen Aussagen des Starvirologen Philip Knirsch, der im Fernsehen, die nicht geimpften „Schwurbler” nennt, „Die sich dann eben nicht überall ihr Leberkässemmerl kaufen können!”, geärgert hat, im Währingerpark den alten Psychiater Hans Knirsch kennen, der sich in seiner Seniorenresidenz mit der strengen Oberschwester Elfriede herumstreitet, weil er sich nicht testen und impfen lassen will, dessen zwölfjähriger Enkel Felix zwischen seinem Virologenvater und der gemässigteren Mutter, die ihn frei entscheiden lassen will, ob er sich impfen lassen möchte, zerrieben wird.

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„Wir müssen uns sehr anstrengen, um der ansteckenderen Delta Variante zu entkommen und uns nicht im Herbst im vierten Lockdown wiederzufinden!”, erklärte der imposante Vierzigjährige im weißen Ärztemantel energisch und schaute sowohl entschlossen, als auch grimmig vor sich hin.

„Jeder von uns muß sein Schärfchen dazu beitragen, der drohenden Gefahr zu entkommen und jeder kann das auch, denn die Losung heißt, impfen, impfen, impfen! Nur so können wir den Kampf gewinnen und unsere Freiheit sowie unser normales Leben zurückbekommen und da befinden wir uns noch immer in der Krise, nämlich in einem Impfschneckentempo! Vom Impfweltmeister sind wir zur lahmen Impfente geworden, haben am letzten Sonntag nur fünfhundertfünfundachtzig Erststiche gesetzt und sind an letzter Stelle Europas gelandet! Haben nicht einmal eine Durchimpfungsrate von sechzig Prozent erreicht und müssen mindestens fünfundachtzig haben! Also müssen wir uns sehr anstrengen, um dieses Ziel zu erreichen und da kann jeder sein Schärfchen dazu beitragen, weil jeder wahrscheinlich ein- oder zwei Ungeimpfte kennt und die gilt es zu überzeugen! Denn das hilft! Nur so haben wir den Eintritt in die EU geschafft und das müssen wir jetzt wiederholen! Also liebe schon geimpfte Österreicher, gebt euch einen Ruck und sprecht mit euren noch nicht geimpften Schwestern, Ehemännern, Kollegen, Frauen und überzeugt sie von der Wichtigkeit sich immunisieren zu lassen!”, dozierte er streng und brach ab, um etwas freundlicher dreinzuschauen, während Alberta Wassermann, die in Jeans und einem schwarzen T-Shirt, das die etwas provokante Aufschrift „gesund, frei, widerständig!”, trug, vor dem Laptop saß und skeptisch ihren Pagenkopf schüttelte.

„Vielen Dank, Herr Professor Knirsch!”, hörte sie die Moderatorenstimme, die von einer blonden jungen Frau, die ein tiefausgeschnittenes rotes Kleid trug, stammte, den Zuschauern erklären „Das werden wir uns zu Herzen nehmen, was unser bekanntester Starvirologe, der uns gerade wieder über die Lage der Nation informierte, riet, denn das ist doch wirklich einfach mit den noch nicht so Informierten zu sprechen und sie aufzukären, wie wichtig die Impfung ist, um einen schönen Herbst und Winter zu erleben!”, behauptete sie und Alberta Wassermann schüttelte abermals den Kopf.

„Dabei habe ich gedacht, daß die Impfung der Gamechanger wäre, die uns unser altes Leben zurückbringt! Wenn alle ein Impfangebot haben, ist der Spuk vorbei und jeder wieder für sich selbst verantwortlich, hat es doch geheißen! Aber jetzt gibt es Gerüchte, daß bald nur mehr Geimpfte Lokale, Restaurants und Veranstaltungen besuchen können und ganz Radikale sprechen sogar davon, daß das auch auf den Lebensmittelhandel und andere Geschäfte ausgedehnt werden soll, so daß man keine Chance mehr haben wird, der Impfung zu entkommen, weil die Schlinge immer enger zugezogen wird! Dabei häufen sich die Berichte, daß Geimpfte genauso ansteckend, wie, die Ungeimpften sind und, daß in den Intensivstationen Israels, die die unbestrittenen Impfweltmeister sind, schon viele doppelt Geimpfte liegen!”, seufzte die achtunddreißigjährige Übersetzerin und drehte den Fernseher ab. Denn noch war erst August und die Märkte standen auch den ungeimpfte Maskenlosen offen, so daß sie einkaufen konnte, um nicht, als Menschin zweiter Klasse zu verhungern und es war auch sicher gut, an die frische Luft und auf andere Gedanken zu kommen, wenn man in den Mainstreammedien schon nichts mehr anderes, als „Impfen, impfen, impfen!”, hörte und eine Bedrohungssituation aufbaute, die Angst machte und spalten konnte und das war nicht gut, denn Angst war ein schlechter Ratgeber! Das hatte sie schon während ihres Russisch- und Englischstudium erfahren. Also durchatmen, die Jacke nehmen, die Handtasche und den Einkaufskorb, um die vielleicht letzten Tage Freiheit zu genießen und den Kutschkermarkt aufsuchen. Frische Luft war gesund und stärkte die Abwehrkräfte, so daß sie sich vielleicht doch nicht, wie vom Bundeskanzler behauptet, unvermeidlich anstecken würde. Wenn doch, kam sie vielleicht mit einem Schnupfen davon, wie sie den schon öfter hatte, denn sie ernährte sich gesund, aß Zitronen und Orangen und würde sich auch jetzt einen griechischen Salat zubereiten, bevor sie sich wieder über die Übersetzung Vladimir Sorokins neuen Roman machen würde, dachte Alberta Wassermann eine Stunde später, als sie mit dem vollen Korb, im Währinger Park Halt machte. Eine kleine Rast einlegen und ihre Gedanken ordnen, bevor sie nach Hause ging. In dem großen Park war es ruhig und still. Ein paar Kinder spielten Fußball. Einige junge Mädchen saßen mit ihren Kaffeebecher auf den Bänken und kicherten angeregt vor sich hin und so suchte sich Alberta ein freies Plätzchen auf dem sie ausruhen und trotzdem den geforderten Abstand halten konnte.

„Setzen Sie sich zu mir junge Frau! Ich beiße nicht und bin auch nicht ansteckend!”, hörte sie auf einmal die Stimme eines weißhaarigen alten Mannes, der ihr zuzwinkerte, als hätte er ihre Gedanken erraten.

„Ich beiße nicht und komme Ihnen auch nicht zu nahe! In jeder Weise, in der das geschehen könnte, tue ich das nicht! Denn ich habe meinen achtzigsten Geburtstag schon gefeiert, bin Witwer und dreifacher Großvater und auch nicht ansteckend, selbst wenn ich trotz meiner Risikogruppenangehörigkeit, noch nicht geimpft bin, denn ich bin ein Rebell! Aber das sind Sie, wie ich an ihrem T-Shirt sehe, auch! „gesund, frei, widerständig”, kann ich trotz meiner schon etwas schwachen Augen lesen. Da blitzen meine Gehirnzellen auf und kombiniere, daß Sie auch eine Anhängerin von Richard Schwarz CGDF-Kanal, sind, den ich mir, da staunen Sie, was, in meiner Seniorenresidenz immer mit Vergnügen ansehe! Aber ich habe vergessen, mich vorzustellen und in meiner Geschwätzigkeit alle Höflichkeiten außer Acht gelassen! Verzeihen Sie meine Unachtsamkeit! Hans Knirsch ist mein Name!”, sagte er und fügte, als er Albertas Erstaunen bemerkte, fast vergnügt hinzu „Sie kombinieren richtig, junge Dame! Ich bin der Vater des Starvirologen, der jetzt täglich im Fernsehen zur Impfung treibt, über den Sie sich bestimmt schon geärgert haben und somit das schwarze Schaf der Familie, wie Philip es nennt.”