Die ereignisreichen Sommererlebnisse vier prekärer Literaturstudentinnen

Sommerfrische für Studentinnen: Eva Jancak gab anlässlich ihrer Lesung Einblicke in ihre neuesten Texte. Auslöser war die Idee einer Sommergeschichte über Sandra Winter, eine prekäre Literaturstudentin, die nach sanften Druck der Mutter ihren Sommer im Haus der Eltern verbringt.

Sandra Winters Mutter versah die Einladung mit einem wahren kommunikativen „double-bind”. Einerseits sollte die Tochter im Haus ihrer Eltern in Harland bei St. Pölten die Sommerfrische genießen, auf der anderen Seite war der implizite Wunsch vorhanden, den slowakischen Pflegehelferinnen, die die demente Großmutter betreuen, ein wenig auf die Finger zu schauen. Nicht zuletzt wäre die Sommerfrische ja dazu geeignet, die Diplomarbeit fertig zu stellen.

Viel lieber hätte Sandra Winter ihre Freundin Eleni in Griechenland besucht, aber dies war aus finanziellen Gründen nicht möglich.

Neil Y Trasher, read!!ingroom, 14. 7. 2015

Die ereignisreichen Sommererlebnisse vier prekärer Literaturstudentinnen

4.

Fatma Challakis Hände zitterten, mit denen sie das Kopftuch, das zu tief in die Stirn gerutscht war, zurückgeschoben hatte und die Stirn war naß vor Schweiß. Der Kopf war es, ihre Hände und die Augen tränenverschmiert und das waren auch die der Mutter, die ihr den Rucksack in die Hand drückte und ihr „Alles Gute!” wünschte. Die Augen ihrer Mutter waren verweint und der Vater, der sich seine Gefühle, wie alle Männer, nie anmerken ließ, war sehr ernst. Er hatte aber nicht geweint, als die Nachricht vom Tod ihres Lieblingsbruders gekommen war. Zusammen waren sie auf einer Demonstration gewesen, um gegen die neuen Herrscher des Landes, die IS-Milizen, zu demonstrieren, solange man das noch durfte. Ihr war es gelungen in dem Tumult mit ihrer Cousine Farah zu flüchten. Fahrid und seinen Schulfreund Hassan hatten sie festgenommen und weggeschleppt. Dann hatten sie im Fernsehen das Video gesehen, wo hundert Gefangene im Sand knieten und hinter ihnen hundert Kindersoldaten mit dem Gewehr im Anschlag standen, um die Geiseln etwas später zu erschießen. Einer von ihnen war Fahrid, ein anderer Hassan gewesen. Die Mutter hatte zu schreien und zu schluchzen angefangen. Der Vater war starr und ruhig geblieben. War aufgestanden und hatte in seinem Schreibtisch gekramt. Dann hatte er ihr ihren Paß hingehalten und ihr erklärt, daß sie flüchten müsse, weil er sich von den Terroristen nicht auch noch seine Tochter erschießen lassen wolle! Sie hatte sich an die Mutter geklammert und gestammelt, daß sie die Eltern nicht verlassen, sondern bei ihnen bleiben wolle! Der Vater hatte aber den Kopf geschüttelt „Du mußt, Tochter!”, gesagt und die Mutter aufgefordert, ihre Sachen zu packen. Dann hatte er sie, die sich nicht mehr wehren konnte, obwohl sich an ihrer Meinung nichts geändert hatte, an der Hand genommen und sie zu einem Schlepper gebracht, der sie und die anderen Flüchtlinge nach Europa bringen sollte.

„Du mußt, Tochter, mach mir keine Schande!”, hatte der Vater wiederholt und seine Augen schienen jetzt auch zu glänzen, als würden sich Tränen darin verbergen, die er weder ihr, noch der Mutter zeigen wollte, die geschluchzt und gejammert hatte und ihr auch nicht helfen konnte, sondern der Meinung schien, daß es besser für sie sei, sich dem Schlepper anzuvertrauen und das Land zu verlassen. Sie allein, weil das Geld nur für sie und nicht für den Vater und die Mutter reichte.

„Europa ist schön! Du bist in Deutsch immer sehr gut gewesen und wolltest auch deutsche Literatur studieren! In Österreich und Deutschland wirst du das besser als in Damaskus können, wo jetzt alles verboten ist und Frauen weder studieren, noch allein aus dem Haus gehen können!”, sagte der Vater und ihr fiel Sandra Winter ein, die eine österreichische Studentin war, die in Wien Literaturwissenschaft studierte und mit der sie seit einiger Zeit in einem Mailwechsel war, weil ihr Deutschlehrer, Professer Schachinger, gemeint hatte, daß es gut sei mit Leuten in der Muttersprache Deutsch zu üben. Hatte sie doch die deutsche Schule besucht, einen österreichischen Deutschlehrer gehabt und wirklich Literatur studieren wollen und wäre auch gern zu einem Austauschsemester nach Wien, zu Sandra Winter, gekommen. Aber nicht so und nicht unter diesen Umständen! Obwohl sie schon einsah, daß es besser war, das Land zu verlassen. Vor der IS und ihrem Terror zu flüchten, aber doch nicht unter diesen Umständen! Mit ihren Eltern und dem jüngeren Lieblingsbruder hätte sie das tun wollen, aber der war tot. Von gleichaltrigen Soldaten hinterrücks erschossen! Würde niemals wieder zu ihr kommen und mit ihr auf eine Demonstration gehen, um sich für ihre Freiheit und Rechte einzusetzen! Es war vielleicht besser, dem Vater zu folgen und mit anderen, ihr unbekannten Menschen, das Boot zu besteigen. Aber Wien lag nicht am Meer, wie sie ebenfalls bei Professor Schachinger und dem Geografieprofessor gelernt hatte. Wien lag an der schönen blauen Donau, wo man Walzer tanzte. Das war jetzt auch verboten. Die IS wollte keine Musik und keine unverschleierten Frauen. Aber sie trug ein Kopftuch wie die Mutter. Denn sie war eine fromme Frau und eine gute Muslima. Für die IS wahrscheinlich nicht fromm genug! War sie doch mit Fahrid auf dieser Demonstration gewesen und der war jetzt tot. Während der Vater gerade einem Mann, der der Schlepper zu sein schien, ihren Paß und einige Geldscheine entgegenstreckte und die Mutter ihm zurief, daß er gut auf sie aufpassen solle, weil sie allein reisen würde und gerade erst Neunzehn geworden war. Der Schlepper nickte und antwortete auf die Frage der Mutter, ob sie das Boot nach Wien bringen würde, weil sie dort eine Brieffreundin hätte, daß es nach Lampedusa ginge und sie sich von dort allein weiterdurchschlagen müsse. Und sie spürte schon wieder Tränen ihre Wangen hinunterrinnen, spürte das Zittern ihrer Arme und Hände und schwarz vor den Augen wurde ihr auch.

„Du mußt tapfer sein, Tochter!”, hörte sie den Vater mahnen. Hörte das Schluchzen der Mutter und die Stimme des fremden Mannes, daß sie sich beeilen sollten, weil das Boot schon voll sei und sie bald abfahren würden und da fiel ihr wieder Sandra Winter ein und, daß sie ihr ein SMS schicken könnte, daß sie auf dem Weg nach einem Ort namens Lampedusa sei und dann versuchen wolle, sich nach Wien zu ihr durchzuschlagen, weil sie ganz allein sei, nachdem Kindersoldaten ihren Bruder Fahrid von hinten erschossen und sie ihre Eltern zu dem Boot gebracht hatten.

„Ich hoffe, das ist dir recht!”, setzte sie völlig idiotisch hinzu und hatte das Gefühl umzufallen und zu sterben, was ihr angenehm gewesen wäre, weil sie weder in das Boot steigen, noch in der Stadt bleiben wollte, in der so schreckliche Dinge passierten.