Rezension: Eva Jancak, Dreizehn Kapitel
Es fällt mir extrem schwer, über ein gelesenes Buch, und ich habe
gerade mit großer Freude Dreizehn Kapitel gelesen, zu schreiben.
Schreiben ist was anderes als Lesen, wie in dem bekannten
Polizistenwitz, dennoch will ich’s versuchen. Was ich also gelesen
habe, ist ein klug amüsanter, zügig spannender Text, der mit Erfolg so
tut, als gehorchte diese unsere zufällige Welt irgendeiner Form von
Ordnung. In vermutlicher Ermangelung eines solchen Systems konstruiert
der Text dieses der Hetz halber selbst, schafft Fakten, indem eine
Geschichte zur anderen wird mit immer einer Person der vorigen Episode
als neuer Hauptperson, ein wahrscheinlich nicht erst seit Schnitzlers
Reigen immer wieder erstaunlich gut funktionierendes Prinzip, das auch
mit klassisch-musikalischen Techniken durchaus verwandt ist, nämlich das
klingende Material aus sich selbst heraus weiter zu entwickeln: nichts
fällt da einfach vom Himmel, nein, aus dem einen ergibt sich das andere,
alles ist organisch mit allem verbunden, und meint es auch Chaos, so hat
es doch Methode.
So weit so gut, sogar hervorragend, wie ich meine, dann das Material
der Dreizehn Kapitel sind lauter außergewöhnliche Menschen, die ich
gern kennenlernen würde bzw. teilweise auch zu kennen glaube; jedes
dieser dreizehn Kapitel stellt einen Menschen in den Vordergrund und in
seinen / ihren mitmenschlichen Kontext, Menschen über den/die etwas zu
erfahren sich wirklich lohnt, sei es die reisende Abenteurerin Uschy,
die die Welt in einem alten VW-Bus erfährt, oder die büchernarrische
Laura, die sich dieselbe Welt, die die eine bereist, in der Badewanne
erliest (und beide sind sie sehr einsam dabei); es kann aber auch der
der sanft senil aus dem Leben schwebende ehemalige Kulturstadtrat
Laurenz W. sein oder das lesbische Pärchen Vera und Ruth, das, einfach
indem es da ist, die Welt von morgen und die von (ewig)gestern im
wahrsten Sinne des Wortes lustvoll gegeneinander positioniert.
Undsoweiter. Was dabei herauskommt, das ist durchaus lesenswert in dem
Sinne, daß hier der höhere Sinn sich sozusagen aus dem gemeinen Nichts
ergibt - es ist und ist nicht, etwa wie die Breiten- und Längengrade,
die unseren Globus umspannen, sind und nicht sind. Wie so oft, kommt es
auf die Betrachtungsweise, genauer: auf die Systematik an, aus der
heraus und durch die hindurch wir die Welt beäugen.
Soviel also zum durchaus vergnüglichen /Lesen/ des Buchs. Wenn ich
allerdings was darüber /schreiben/ wollte, müßte es natürlich auch ums
/Schreiben/ gehen, um die Art und Weise, wie all dieses Mitteilenswerte
mitgeteilt wird, und da wäre der Gedanke verführerisch, das
Ordnungsprinzip der Story bis in die textliche Struktur hinein zu
verfolgen - in der Hoffnung, daß das Material Sprache ähnlich
formbewußt und ökonomisch aus sich selbst heraus entwickelt, variiert
und listenreich zueinander in Beziehung gesetzt würde wie im Netzwerk
der Story. Sozusagen: die Form ergibt den Inhalt, dieser sich aus dem
sprachlichen Material, und letzteres formuliert wieder die Form.
Das aber scheint mir nur gelegentlich der Fall zu sein, die Geschichte
wird in scheinbarer Unbefangenheit so munter erzählt, wie es der
gefinkelten Dramaturgie des Plots meiner Ćberzeugung nach keineswegs
entspricht. Das kann natürlich höchste Raffinesse sein oder aber auch
ihr weniger glamouröses Gegenstück, und ich muß ja nicht alles verstehen
wenn ich meine: stellenweise liest es sich, pardon, wie die Rohfassung
zu einem bravourös artistischen Text, dem die mühsame Arbeit des
Zurechtschleifens allerdings noch bevorsteht, was sich an seinem
Verhältnis zur Phrase einigermaßen ermessen läßt.
Beispiel gefällig? Wenn schon auf den ersten drei Seiten die Offenen
Bücherstände gleich zweimal knapp hintereinander wie die Schwammerln
aus dem Boden sprießen, dann ist das entweder ein ironischer
Wiederholungsgestus, dessen Sinn ich nicht durchschaut habe, aber selbst
wenn es nur einmal vorkäme, wirkt die Formulierung allzu vorgefertigt,
dahergesagt und -geschrieben, denn wie ist das mit den Schwammerln
genau? Wer jemals welche suchen gegangen ist, sich stundenlang durchs
Gestrüpp gekämpft hat mit am Ende meist nur magerer Ausbeute, weiß, daß
die Schwammerln keineswegs wie die Schwammerln aus dem Boden zu
sprießen pflegen sondern, von raren Ausnahmen abgesehen, ziemlich mühsam
gesucht werden müssen, wie ich, eine Kindheit lang mit dem
pilzenarrischen Vater in Tirols Wäldern unterwegs, einfach mal so zu
behaupten mich getraue.
Phrasen also. Entweder diese durch sich selber brechen und dadurch
entlarven oder damit jonglieren oder sie vermeiden - - das wär’s
zumindest in der Schreibtradition, in der ich sozialisiert wurde, und
wahrscheinlich was ähnliches meinen auch die ominösen Literaturgranden,
die im Text auftauchen und den geschriebenen Elaboraten der beherzten
Autorin Vera schmerzliche Absagen wegen mangelnder sprachlicher
Qualitäten erteilen.
Andererseits, solche Qualitäten weist längst jede routinierte
Spiegel-Reportage bis zum Überdruß auf, samt ironischem Automatismus,
der alles und jedes aus einer wohlweislichen Distanz heraus beschreibt
und begreift, worauf Thomas Mann noch mit Recht stolz sein konnte, was
aber mittlerweile zum Original sich verhält wie der Abklatsch zum
Vorbild; wer wollte also allen Ernstes wissen wollen, wie Literatur
heute /geschrieben/ gehört?
Denn wir haben hier eine Geschichte gelesen, die in dreizehn scheinbar
schmalen Kapiteln unsere ganze weite Welt in Höhen und Tiefen durchmißt,
und wenn wir am Ende eh sehr sanft gelandet sind, dann ist in der Story
zwar so manches offengeblieben, aber gerade dieses Ausgesparte, mehr zu
Erahnende als deutlich Ausgesprochene macht der Reiz der Sache aus.
Die Andeutung sagt manchmal mehr als die Feststellung, das Nichtgesagte
kann eindringlicher sein als das Hinausposaunte . - - -
Klaus Khittl