[Die Rezension wurde von leselustfrust hier veröffentlicht.]

„Das Haus” ist das Wiener Otto Wagner Spital, ein psychiatrisches Krankenhaus, das in seiner Geschichte schon mehrmals umbenannt wurde. Dieses Spital spielt in der Erzählung eine ebenso wichtige Rolle wie die vier Frauen, deren Leben erzählt wird.
Klara Gerstingers Vater wurde die Nachricht von der Geburt der Tochter während der Eröffnungsfeier des Spitals 1907 überbracht. Ebenso wie er studierte sie Medizin und wurde die erste Primaria in eben diesem Haus. Eine Berufswahl, der auch ihre Tochter Johanna und ihre Enkelin Sarah folgten. Und doch haben alle diese Frauen ihre Rolle als Psychiaterinnen anders gelebt, nicht nur bedingt durch die Zeit, in der sie lebten.
Klara stirbt 100jährig am Tag, an dem auch das Jubiläum der Klinik begangen wird.

Hundert Jahre, in denen sowohl in der Psychiatrie- als auch in der Frauengeschichte viel passierte. Als ich die Inhaltsangabe las dachte ich, dass dies nicht gut gehen kann. Beide Themen interessieren mich, aber wie soll das auf so kurzem Raum untergebracht werden?
Es geht aber überraschend gut, was wohl auch am Plauderton der Autorin liegt. Nur im Prolog, in dem es um die Hundertjahrfeier geht, wird man als Leser mit vielen Namen und Personen überschwemmt. Später, wenn Kapitel für Kapitel die Lebensgeschichten der Frauen erzählt werden, ist es aber einfach, den Überblick zu wahren.

Eine leichte Spannung ergibt sich dadurch, dass Johannas Vater nicht der Ehemann von Klara war und sie dies ihrer Tochter nie erzählte. Wird Johanna die Wahrheit noch nach dem Tod der Mutter entdecken?

Gut gelöst fand ich auch die Problematik der nationalsozialistischen Gräuel. Diese werden durch die Augen des Kindes Johanna, das noch gar nichts versteht, gezeigt. Später wird Johanna eine kritische Ärztin, die darunter leidet, dass sowohl der Großvater als auch der vermeintliche Vater NSDAP-Mitglied waren und ihre Mutter über vieles Bescheid wusste. Aber die Autorin macht es sich nicht einfach, sie drängt Klara nicht in die Rolle der „bösen Täterin”, und sie verharmlost auch nicht.

Für die Enkelin Sarah ist die berufliche Rolle geprägt durch Personalknappheit, die private durch ihr Kind, das sie allein erzieht. Klaras Urenkelin Naomi ist der Epilog gewidmet: die Schülerin geht, nicht wissend, dass die Urgroßmutter gestorben ist, fröhlich ein Geburtsgeschenk kaufen und rückt durch ihre Sichtweise einiges von Sarahs Ansichten zurecht. Ein versöhnlicher Schluss.