[Die Rezension wurde von LEV DETELA in LOG, ZEITSCHRIFT FÜR INTERNATIONALE LITERATUR, AUSGABE 141 / 2014 *** XXXVI *** veröffentlicht.]

DER BLICKPUNKTWECHSEL IN DER AKTUELLEN LITERARISCHEN SITUATION

Eva Jancak, Literaturgeflüster. Texte - Buch. Digitaldruck.at, Leobersdorf 2013, 394 S.

Eva Jancak, eine nach eigenen Worten „seit 1973 literarisch schreibende, nicht sehr erfolgreiche Autorin”, führt seit Juli 2008 im Internet unter dem Titel Literaturgeflüster einen Blog, in dem sie ihre eigenen literarischen Unternehmungen und Bestrebungen beschreibt und als eifrig bemühte Besucherin der zahlreichen österreichischen und vor allem Wiener literarischen Veranstaltungen das aktuelle Geschehen kommentiert und analysiert. Sie ist eine von jenen zahlreichen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die, meistens übersehen von dem großen Kulturbetrieb, der literarischen Kritik und der wissenschaftstheoretischen Forschung an den Universitäten und Hochschulen, eine zu wenig beachtete parallele Literaturwelt entwickeln.
Die literarischen Texte und kulturpolitischen Bemühungen von Eva Jancak sind das Ergebnis ihrer inneren und äußeren Biographie. In ihrem Fall sind sie, ähnlich wie bei vielen anderen Autoren, verbunden mit einigen ungünstigen kultur- und verlagspolitischen Bedingungen, die sich auf das literarische Schaffen und das konkrete Leben nicht immer positiv auswirken. Die durchschnittliche Lebenserwartung der österreichischen Autoren und Autorinnen beträgt, wie Eva Jancak auf der Seite 373 ihrer lesenswerten Publikation berichtet, nur „63.69” Jahre, also deutlich unter jener der österreichischen Gesamtbevölkerung, die bei den Männern 75, 5 und bei den Frauen 81,5 Jahre beträgt.
Trotz dieser negativen Tatsachen hat Eva Jancak, die 1953 in Wien geboren wurde und hauptberuflich als Psychologin in ihrer Geburtsstadt arbeitet, mehrere Jugendbücher und zahlreiche längere Prosawerke veröffentlicht und für ihre literarischen Veröffentlichungen verschiedene Literaturpreise erhalten. In unserer Zeitschrift LOG hat sie in den Jahren 1985 - 1987 mehrere Auszüge aus ihren längeren sozialkritischen Erzählungen veröffentlicht (Die anderen sind schuld, LOG, Nr. 26 - 27, 1985 /VIII; Soforthilfe - oder Wohltun ist eine gute Sache, LOG, Nr. 31, 1986 / IX; Die Gasse oder Marthas Wohnungen, LOG, Nr. 33, 1986 / IX; Zwischen Hütteldorf und Heiligenstadt, LOG, Nr. 37, 1987 / X). Die Texte von Eva Jancak sind einfach strukturiert, sozialkritisch „aus dem aktuellen Leben gegriffen” und zeigen eine deutliche humane Tendenz.
In ihrem neuen Buch Literaturgeflüster beklagt Jancak schon in der Einleitung die Schwierigkeiten, die typisch sind für viele Autoren, die nicht das Glück haben bei den großen Verlagen zu veröffentlichen, unter anderem mit folgenden Worten: „Obwohl mir das Schreiben sehr wichtig ist und ich es auch sehr konsequent und beharrlich betreibe, macht das jahrelange Übersehenwerden, das immer daneben Stehen und das nur zu den Preisverleihungen der anderen Gehen, ein wenig müde, wie man auch an den Blogartikeln merken kann…” (Literaturgeflüster, Seite 7). Nach fast vierzig Jahren des kontinuierlichen Schreibens und dreißig Büchern, „zwei Fachbücher im Publikumsverlag, fünfundzwanzig selbst gemachte, zwei noch nicht erschienene und dreieinhalb Jahren Literaturgeflüster mit zirka neunhundertfünfzig Artikeln” fühlt sie sich am 20. Jänner 2012 ein bisschen resigniert. (S. 229). Dazu stellt sie im Kapitel „Tausendmal” (S. 243) pessimistisch fest: „Tausend Rosen, tausend Küsse, tausend Blogartikel zur Literatur in dreiviertel Jahren ... Bücherlesen, Büchersammeln, schreiben, lesen, vor allem aber beharrlich und auch sehr frustriert daneben stehen, denn die Türe in den Literaturbetrieb immer nur versperrt vorfinden und so ein Blog ist irgendwie Ersatzbefriedigung.”
Ist Eva Jancak also, wie sie manchmal resigniert feststellt, nur eine Möchtegernautorin im Internet? Oder müssen wir die Problematik, die sie schonungslos in ihrem Buch offen legt, genauer betrachten und in einer neuen Perspektive darstellen? Vor allem wäre es wichtig, den gängigen „offiziellen” Literaturbetrieb und seine Allüren kritisch zu analysieren und zu bewerten? Für eine Hobbyautorin halte sie sich ja, wie sie öfters betont, überhaupt nicht, obwohl sie ihrer Meinung nach zu oft von der Literaturöffentlichkeit übersehen ist (Literaturgeflüster, Seite 105), und meint als hauptberufliche Psychologin zugleich, dass „das Bloggen und das Selbstverlegen eine gute Möglichkeit ist, sich nicht als verkannte Künstlerin zu fühlen”. Es hat den Anschein, dass die offiziellen Verlags- und Medieninszenierungen der „erfolgreichen Literatur”, gepaart mit den Interessen der so genannten Großkritik und der konformistischen Universitätswissenschaft, gewisse Autoren und Buchtitel mit Hilfe der kommerziellen Erfolgsquoten zu kanonisieren versuchen. Diese Bestrebungen können aber durch das Anwachsen der parallelen Literaturtendenzen, die mit dem elektronischen Selfpublishing und mit der in der eigenen Regie erstellten E- Books inmitten einer breiten Bloglandschaft derzeit noch ein mehr oder weniger unbeachtetes literarisches Riesenreich bilden, in Frage gestellt werden, obwohl damit nicht behauptet wird, dass alles, was sich in der parallelen Literaturlandschaft manchmal zu selbstsüchtig und unkritisch repräsentiert, das reine Gold ist. Auch hier müssen ästhetische Kriterien eine wichtige Rolle der Selektion spielen, die das Gelungene vom literarisch Belanglosen trennt. Und obwohl im elektronischen Selfpublishingbereich die Texte, die durch die Qualität überzeugen können, oft fehlen, muss die literarische Öffentlichkeit die neuen literarischen Parallelwelten zur Kenntnis nehmen. Derzeit sind sie nämlich vom offiziellen literarischen Betrieb zu oft ignoriert, sie sind ein marginales Objekt des undemokratischen Ausschlusses, mit dem alles, was von der offiziellen Kritik als „anders” oder „unrein” charakterisiert wird, abgetan, missachtet, verdrängt und als nicht lesenswert abgelehnt wird.
Eva Jancak ist neben ihren schriftstellerischen Bestrebungen hauptberuflich als Psychologin und Psychotherapeutin tätig. Auch von hier stammen vielleicht ihre Bemühungen, sich mit der Kreativität der „gewöhnlichen” Menschen und der Randgruppen zu beschäftigen. In ihrer Publikation Literaturgeflüster fragt sie sich im Kapitel Fehlerkultur unter anderem: „Was passiert aber mit den anderen, der so genannten Normalbevölkerung, die nicht so gut wie Peter Handke, Cornelia Travnicek oder Thomas Bernhard schreibt? Dürfen die es nicht trotzdem probieren, wenn es wichtig ist und gefällt?” (S.76). Diesbezüglich hat sie, wie sie auf der Seite 147 betont, „eine eher tolerante Einstellung, was das Lesen und Schreiben betrifft, lasse alle lesen, was sie wollen, und schreiben, so gut sie es können und würde beides fördern”. Diese Haltung demonstriert sie auch als Leserin der aktuellen und weniger aktuellen großen und kleinen Bücher aus den Federn bekannter und weniger bekannter Autoren, die sie genau und sorgsam sowie mit Freude liest und ihnen Beachtung schenkt, da sie zahlreiche Bücher auch bespricht.
Für Eva Jancak spielt die Reflexion über die zwischenmenschlichen Beziehungen inmitten der literarischen Szene eine zentrale Rolle. Ihren Blogbeiträge sind verwoben mit tagebuchartigen Beobachtungen, in denen sie auch über die alltäglichen Gegebenheiten und Ereignissen berichtet. In den achtzig Kapiteln des Buches erfährt der Leser sehr viel über die Begegnungen der Autorin mit ihren Freundinnen und Freunden. Man kann Eva Jancak begleiten auf ihren Reisen durch Polen, Litauen oder Deutschland und den Ausflügen in Österreich. Sie berichtet auch über die Begräbnisse der österreichischen Autorenkolleginnen und Kollegen, unter anderem vom Begräbnis der Dichterin Elfriede Gerstl und dem Tod des Schriftstellers Andreas Okopenko und erinnert sich an den verstorbenen Grazer Autor Helmut Eisendle. Sie orientiert sich am Alltag des Literaturbetriebes und vermittelt als kontinuierliche Beobachterin der literarischen und kulturellen Veranstaltungen dem Leser interessante und ausführliche Einblicke in das literarische Leben jenseits der offiziellen Verlautbarungen.
Der Leser begleitet die Autorin bei ihren minutiös geschilderten Besuchen der großen und vielen kleinen Literaturveranstaltungen in Wien und Niederösterreich.
Die Autorin setzt sich auch mit dem Problem der so genannten kreativen Schreibschulen auseinander und lässt die Frage, ob man Schreiben lernen kann, offen. Unter anderem beschäftigt sie sich auch mit den vielen kleinen literarischen Wettbewerben, die die Szene hoffnungsvoller und lebendig machen.
Mit ihrem Blog Literaturgeflüster versucht sie die Abgrenzung vom „normalen” Literaturbetrieb der Verlage und literarischen Institutionen zu überwinden und die Leser auf die neuen Möglichkeiten der literarischen Präsentation im Internet aufmerksam machen.
Damit bringt sie den Blickpunktwechsel in die Auseinandersetzungen mit der aktuellen literarischen Situation. Als Psychologin und Psychotherapeutin im Hauptberuf versucht sie auch den weniger erfolgreichen Autorinnen und Autoren Mut zu machen für das Schreiben als persönliche Lebensform der engagierten, mitfühlenden und aktiven Menschen in einer offenen demokratischen Gesellschaft.
Das Dilemma der modernen Literatur, der anerkannten und auch der marginalisierten und übersehenen, in der Zeit der elektronischen und zugleich der ökonomischen Maschinerie, ist mannigfaltig. Wie kann die Literatur unter modernen Zwängen noch authentisch bleiben? Das Buch von Eva Jancak stellt viele Fragen. Kann die Literatur in diesem Kontext mit Hilfe der neuen elektronischen Medien ihre Verbreitung wie eine Art Volkssport entfalten und damit ihre jetzige Marginalisierung beenden?

LEV DETELA