Rezension: Eva Jancak, Lore und Lena

Liebe Eva Jancak ... also... nun ... ich schreib ja schon seit zwanzig Jahren keine "Rezensionen" mehr, weil mir das zu autoritär ist, aber hier muß ich wohl eine Lösung finden, denn das Buch "Lore und Lena" hat mir wirklich Einblicke in Kinderseelen (u.a. in meine eigene) gegeben, die ich gern weiter verarbeiten möchte - wenn's sein soll, sogar verschriftlicht.

Da müßte dann natürlich drinstehen, daß ich das Buch für eine /Variation/ halte, die Variation eines alten Themas, das schon bei Shakespeare nicht mehr neu war, im /Mann ohne Eigenschaften/ einen Höhepunkt erklimmt, bei Erich Kästner noch einmal kindgerecht-groß daherkommt und irgendwann in diversen Horror- und Spaltungsgeschichten, auch in meinen eigenen literarischen Versuchen, sich zu verlieren droht, denn allzu vorhersehbar, allzu geläufig erscheint mittlerweile schon alles, was zur Zwillings- und Doppelgängerthematik zu sagen ist, war und sein wird. Und dazwischen nun ganz unbekümmert /Lore und Lena,/ zwei Kinder, die diesen ganzen einschüchternden literarischen Ballast nicht zu kennen scheinen sondern ihre eigene, kleine, kindgerecht-große Erlebensgeschichte daraus machen als wär' nie nix gewesen: Die eine lebt das Leben der anderen, was für ein wunderbares Modell um Erkenntnis zu gewinnen, nein: die Welt zu erfahren, zu durch-leben. Und auch wenn am Ende die Rollen wieder wie zu Beginn verteilt sind (wer hätte je daran gezweifelt): alle haben in dieser kleinen großen Geschichte was gelernt, über sich und die anderen, und wenn das Spiel dann leider viel zu schnell zu Ende ist, dann war's trotz einiger holzgeschnitzter Nebenfiguren (aber vielleicht sind die ja wirklich so?) trotzdem und vor allem eine klug unterhaltsame, ja manchmal herzlichst berührende Begebenheit, etwa wenn irgendwann ein Stoffwurschtel zum Abschied - vielleicht für immer - winkt, und wir alle haben solche Abschiede, mit oder ohne Wurschtel, in uns tiefgespeichert, und lesend wird das alles wieder akut, und ja, das eine oder andere Tränlein ist da nicht mehr ausgeschlossen. Im Übrigen ist das Buch natürlich auch ein österreichisches Zeitdokument, betreffend jene (achtziger, neunziger) Jahre, in denen die alten Eliten in ihrer Ausseeertracht sich zumindest gelegentlich (und eine solche Gelegenheit beschreibt das Buch) mit neuen Generationen konfrontieren mußten, die sich in ziegelroten Werkstättenkulturhäusern und anderen subversen Lokalitäten neue Lebensmodelle zurechtlegten, die mittlerweile zwar schon genauso historisch sein dürften wie die bekämpften Gegenbilder, aber eine Chance - das wird hier deutlich - wär' damals gewesen, die inzwischen heraufgedämmerte Schöne Neue Welt eines Besseren zu belehren. Wer weiß, was Lore und Lena, sie dürften heute um die dreißig sein, jetzt machen. Vielleicht schreiben sie ja, vielleicht sogar gemeinsam, ein Buch. Über die Welt von morgen ....

Voll Hochachtung

Klaus Khittl