[Die Rezension wurde von Otto Lambauer hier veröffentlicht.]

Rezension: Eva Jancak, Sophie Hungers Krisenwelt

Würde er hineinpassen in eine Arbeiterbibliothek, der 2009 geschriebene und 2010 erschienene Roman der Eva Jancak, so wie der Roman „Karl und das 20. Jahrhundert” von Rudolf Brunngruber, der nicht zuletzt da eine der Hauptfiguren von Sophie Hunges auch Karl Lakner heißt eine wichtige Rolle in der Krisenwelt spielt. Es sind einfache Menschen und Menschen, denen die Wirtschaftskrise des Jahres 2009 zusetzt, die Eva Jancak da beschreibt, und so wie in ihrem Roman „Das Haus” kommt wieder ein fast 100jähriger vor, der sozusagen am Vorabend dieses epochalen Geburtstages verstirbt — diesmal an einem Verkehrsunfall. Wieder verknüpft Eva Jancak die Schicksale der Protagonisten, die sich erst im Rahmen des sich über einen Zeitraum von etwa 10 Tagen ziehenden Geschehens kennenlernen. Aber in diesen 10 Tagen laufen sie einander häufigst über den Weg. 2 Gruppen sind es, die da, jede in sich eng verwoben, das Leben in einem Grätzel nahe des Donaukanals verbringen. Soophie Hungers, Ich-Erzählerin, freigesetzt vom Verlag als Lektorin, da freiberuflich tätig ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld, versucht sozusagen im bücherlesenden Winterschlaf durchzutauchen. Dasselbe probiert Franka Stein, Friedhofsrednerin und Abonementkeilerin, Tochter eines in Kanada zum Milliardär gewordenen, der ihre Mutter, die an Geburtsdepression suizidal verstorben, noch vor ihrer Geburt kennengelernt hat und Enkelkind des oben bereits beschriebenen Karl Lakner. Karl Lakner, der in einem von Nonnen geführten Altersheim — back tot he catholic roots sozusagen — seinen Lebensabend verbringt, hat die Arbeiterbibliothek der Arbeiterkammer nach dem Krieg aufgebaut und lernt Sophie am Donaukanal kennen, sich für ihre Arbeiterlektüre interessierend. Da spielt die Büchergilde Gutenberg eine wichtige Rolle, hat diese sich doch der Arbeiterliteratur in der Zwischenkriegszeit verschrieben und besitzt die Hungers eine Reihe von Büchern aus Erbstücken heraus. Am Ende des Romans wird sie den Bibliotheksnachlass von Karl Lakner erben, da ist sie auch schon eng befreundet mit Franka Stein, die dann wiederum ihren dem neoliberalen Wirtschaftsleben verfallenen Freund Hannes verlassen hat. Das also die eine Gruppe. Die anderen sind Valerie Oswald, die von ihrem Mann Hubert verlassen, antriebslos und depressiv in ihrer vermüllten Wohnung lebt, dort von ihrer Mutter, der pensionierten Kindergärtnerin Hertha Werner umsorgt wird, die auch darauf schaut, dass die beiden Kleinkinder Clarissa — eine altkluge Fünfjährige — und Felizitas ordentlich aufgezogen werden und das Jugendamt nicht auf die Idee kommt, da eingreifen zu müssen. Valerie will ihren Mann zurückholen, der mit seiner Sekretärin abgehauen ist, und bekommt mit Felix Baum, einem aufs berufliche Abstellgleis gestellten Briefträger, den (passiven) Helfer, den sie braucht, um wieder auf beide Füße zu kommen. Am Ende der Gattennachreise von Graz über München, Berlin, Dresden und Bratislave hat Valerie zwar ihr vordergründiges Ziel nicht erreicht, aber das Ziel, ihren Kindern wieder eine intakte Familie zu bieten wahrscheinlich schon und der Nesthocker Felix scheint sich als ganz passabler Partner zu entpuppen. Wir lernen im Roman auch auf durchaus amüsante Weise eine Möglichkeit kennen, mit wenig Geld durchs Leben zu kommen und trotzdem auf wesentliche Dinge nicht verzichten zu müssen, auf reisen, auf interessante Lektüre — gut die ist auch irgendwie vererbt — auf spannende Gespräche und auf gute Freundschaft. Man kann was machen aus seinem Leben, auch wenn die Krise hart ist, das sagt uns der Roman.